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St.gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 2006

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<strong>St</strong>rafrecht GVP <strong>2006</strong> Nr. 72<br />

worden ist (Art. 75 Abs. 1 <strong>St</strong>P). Dieses Erfordernis gilt auch im Privatstrafklageverfahren,<br />

in dem Art. 306 Abs. 1 <strong>St</strong>P ausdrücklich vorsieht, dass der untersuchende<br />

Richter die Parteien über den Sachverhalt <strong>und</strong> die Beweismittel vernimmt. Entgegen<br />

der Auffassung der Vorinstanz handelt es sich hierbei nicht um eine blosse<br />

Ordnungsvorschrift, deren Einhaltung für eine Verurteilung des Beklagten nicht<br />

unabdingbar wäre. Auch das Privatstrafklageverfahren – wiewohl es teilweise an<br />

die Regeln des Zivilprozesses angeglichen ist – behält den Charakter eines <strong>St</strong>rafverfahrens,<br />

das letztlich mit einer Verurteilung oder einem Freispruch endet. Zwar<br />

werden Beweise gr<strong>und</strong>sätzlich nur auf Antrag der Parteien erhoben (Art. 305 Abs. 1<br />

<strong>St</strong>P), doch richtet sich die Beweisabnahme im Übrigen – von wenigen Ausnahmen<br />

abgesehen – nach den Bestimmungen des ordentlichen <strong>St</strong>rafverfahrens (vgl. Oberholzer,<br />

a. a. O., N 1535). Dabei ist ein wesentliches Element der von Amtes wegen<br />

durchzuführenden Untersuchung, dass der untersuchende Richter den Beklagten<br />

zur Sache vernimmt. Der Verzicht auf eine Einvernahme lässt sich somit weder mit<br />

dem Wortlaut noch dem Zweck der gesetzlichen Regelung rechtfertigen.<br />

72<br />

Art. 138 Ziff. 2 <strong>St</strong>GB (SR 311.0). Der Anwalt, der ihm im Rahmen der Ausübung<br />

seines Berufes anvertraute Vermögenswerte veruntreut, macht sich<br />

der qualifizierten Veruntreuung schuldig.<br />

Kantonsgericht, <strong>St</strong>rafkammer, 27. Juni <strong>2006</strong><br />

Der Angeklagte hatte als Anwalt die Gründung einer Aktiengesellschaft vorzubereiten,<br />

die Gründungsformalitäten zu erledigen <strong>und</strong> ein Konto für die Einzahlung des<br />

Aktienkapitals zu eröffnen. Das Gründungsmitglied X liess in der Folge einen Betrag<br />

in der Höhe der Hälfte des geplanten Aktienkapitals auf das Klientenkonto des<br />

Angeklagten überweisen; das Geld war als Anteil von X am Aktienkapital der zu<br />

gründenden Gesellschaft bestimmt. Der Angeklagte verwendete das Geld dazu,<br />

private Schulden des Y – der als weiteres Gründungsmitglied die andere Hälfte des<br />

Aktienkapitals hätte beisteuern sollen – zu tilgen <strong>und</strong> bezahlte Y auch eine grössere<br />

Summe in bar aus.<br />

Aus den Erwägungen:<br />

II. 3. e) Die objektiven <strong>und</strong> subjektiven Tatbestandselemente der Veruntreuung<br />

sind somit allesamt erfüllt. Nachfolgend ist zu prüfen, ob auch ein Fall einer qualifizierten<br />

Veruntreuung (Art. 138 Ziff. 2 <strong>St</strong>GB) gegeben ist. Nach dieser Bestimmung<br />

wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis bestraft, wer die Tat als<br />

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