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St.gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 2006

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GVP <strong>2006</strong> Nr. 73 <strong>Gerichts</strong>praxis<br />

Einerseits führe die Anwendung des von einem Teil der Lehre benutzten Kriteriums<br />

der Wahlfreiheit bei der Abgrenzung zwischen Erpressung <strong>und</strong> Nötigung zu einem<br />

stossenden Ergebnis: Nötigung würde zur Anwendung kommen, wenn das Opfer<br />

unter Todesdrohung zur Gewährung eines Vermögensvorteils gezwungen werde,<br />

Erpressung dagegen, wenn die Drohung oder Gewalt gegen das Opfer weniger<br />

schwer sei. Eine solche Privilegierung der schwereren Drohung dürfte nicht der<br />

Sinn des Gesetzes sein. Andererseits trete am 1. Januar 1995 der neue Tatbestand<br />

der räuberischen Erpressung in Kraft. Unter welchen Voraussetzungen dieser erfüllt<br />

sei, werde zu gegebener Zeit geprüft werden müssen. Nur für wenige noch unter<br />

das alte Recht fallende Taten sei eine Änderung der bisherigen Praxis nicht angebracht.<br />

3. Der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt ist denjenigen in den drei genannten<br />

B<strong>und</strong>esgerichtsentscheiden sehr ähnlich. In allen drei Fällen hat das B<strong>und</strong>esgericht<br />

das Vorliegen der Erpressung bzw. der räuberischen Erpressung bejaht. Im<br />

Entscheid vom 20. Dezember 2000 (6S. 162/2000) wurde die Übergabe der Fahrzeugschlüssel<br />

an den Erpresser als Vermögensverfügung gewertet. Dementsprechend<br />

ist auch im vorliegenden Fall dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt. Die Interpretation<br />

der vorherrschenden Lehre, dass eine gewisse Wahlfreiheit bzw. Mitwirkung<br />

noch gegeben sein muss, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung.<br />

Die Wahlfreiheit bzw. Mitwirkung ist ein Abgrenzungskriterium der Erpressung<br />

gegenüber dem Raub, welches jedoch mit der Einführung der räuberischen Erpressung<br />

seine praktische Bedeutung verloren hat. Bei Fehlen der Wahlfreiheit bzw.<br />

Mitwirkung ist der Tatbestand der Erpressung nicht ausgeschlossen. Das Kriterium<br />

der Wahlfreiheit ist heikel, weil es hier sehr auf die Persönlichkeit des Opfers ankommt.<br />

Der Mutige oder Leichtsinnige hat noch Wahlmöglichkeiten, während der<br />

Ängstliche oder Vorsichtige über diese in der gleichen Situation nicht mehr verfügt.<br />

Der Vorinstanz ist zuzustimmen: Wenn schon die nötigende Einwirkung auf die Willensfreiheit<br />

im Sinn ihrer Einschränkung für die Annahme der Erpressung genügt,<br />

dann muss dies umso mehr gelten, wenn die Einwirkung die Wahlfreiheit sogar<br />

ausschliesst. Denn sonst würde derjenige Täter, der bei einer Fahrzeugentwendung<br />

Gewalt anwendet oder mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib <strong>und</strong> Leben droht,<br />

ohne dass die Wahlfreiheit vollständig aufgehoben ist, zumindest von der Einsatzstrafe<br />

her (vgl. Art. 156 Ziff. 3 i.V. m. Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 <strong>St</strong>GB) schärfer bestraft als<br />

derjenige, der mit den gleichen Mitteln den Betroffenen (sogar) zum Widerstand unfähig<br />

macht (vgl. Art. 181 <strong>St</strong>GB). Der Gesetzgeber wollte mit Art. 156 Ziff. 3 <strong>St</strong>GB<br />

zum Ausdruck bringen, dass alle mit gewaltsamen Mitteln erlangten Vermögensvorteile<br />

der Raubstrafe unterstehen sollen, weil das Anstreben eines Vermögensvorteils<br />

unter Gewalteinsatz oder Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib<br />

<strong>und</strong> Leben stets mehr ist als die Kombination von Nötigung <strong>und</strong> Entziehungsdelikt<br />

(vgl. BSK <strong>St</strong>GB II-Weissenberger, N 27 zu Art. 156). Es ist nicht einzusehen, weshalb<br />

man sich mit verschiedenen anderen Tatbeständen behelfen soll, wenn ein Sachverhalt<br />

unter einen einzigen gesetzlichen Tatbestand subsumiert werden kann.<br />

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