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St.gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 2006

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Rechtspflege GVP <strong>2006</strong> Nr. 92<br />

verfahren unentgeltlich führen zu können. Sie wurden zwar von den <strong>Gerichts</strong>kosten<br />

befreit. Ihre Gesuche um unentgeltliche Vertretung wurden jedoch abgewiesen.<br />

Die Ehefrau akzeptierte diesen Entscheid, der Ehemann erhob dagegen Rekurs<br />

<strong>und</strong> verlangte die Bestellung eines unentgeltlichen Vertreters rückwirkend seit<br />

Erteilung des Auftrags. Er macht geltend, mehrere Punkte – insbesondere sein<br />

Recht auf persönlichen Umgang mit den Kindern <strong>und</strong> seine Unterhaltspflicht –<br />

seien heftig umstritten <strong>und</strong> nicht einfach zu regeln. Im Übrigen bezahle die Ehefrau<br />

ihren Anwalt nun offenbar selbst, womit auch er nach dem Gr<strong>und</strong>satz der Waffengleichheit<br />

Anspruch auf unentgeltliche Vertretung habe.<br />

Aus den Erwägungen:<br />

Der Ehemann beantragt eine rückwirkende Bewilligung der unentgeltlichen Vertretung.<br />

Eine Rückwirkung wäre aber nur ausnahmsweise möglich (BGE 122 I<br />

203). Sie ist gr<strong>und</strong>sätzlich ausgeschlossen, soweit es um eine anwaltliche Tätigkeit<br />

in der Zeit vor Verfahrensbeginn geht. Für eine solche unentgeltliche Rechtsberatung<br />

im Hinblick auf ein gemeinsames Scheidungsbegehren braucht es stets ein<br />

besonderes Gesuch (Art. 3 VSch).<br />

Im Übrigen wird einer bedürftigen Partei ein Rechtsbeistand bestellt, wenn das<br />

sachlich geboten ist. Die Notwendigkeit einer rechtsk<strong>und</strong>igen Vertretung hängt<br />

namentlich davon ab, ob sich im Prozess schwierige Fragen stellen, ob es um<br />

Ansprüche von grosser Tragweite geht <strong>und</strong> ob auch die andere Partei anwaltlich<br />

vertreten wird (BGE 119 Ia 264; Frank/<strong>St</strong>räuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen<br />

Zivilprozessordnung, N 7 zu § 87; Leuenberger/Uffer-Tobler, Kommentar zur<br />

Zivilprozessordnung des Kantons <strong>St</strong>.Gallen, N 4a zu Art. 282). In einem Scheidungsverfahren<br />

wird ein Anwalt besonders dann benötigt, wenn der Scheidungspunkt<br />

oder die Kinderzuteilung umstritten sind, <strong>und</strong> ist am ehesten dann entbehrlich,<br />

wenn nur noch finanzielle Nebenpunkte von geringem Gewicht zu regeln sind (BGE<br />

110 Ia 27; GVP 1994 Nr. 68).<br />

Hier haben die Ehegatten gemeinsam die Scheidung verlangt <strong>und</strong> sich über die<br />

elterliche Sorge für die Kinder geeinigt. Damit sind die <strong>St</strong>atusfragen geklärt. Ob die<br />

<strong>St</strong>andpunkte in den übrigen Fragen weit auseinander liegen, steht hingegen noch<br />

nicht fest. Das einvernehmliche Scheidungsverfahren ist ja kein eigentlicher Prozess,<br />

in dem die Parteien als Kläger <strong>und</strong> Beklagte gegeneinander auftreten, sondern<br />

ein <strong>St</strong>ück freiwillige <strong>Gerichts</strong>barkeit. Dabei werden die Ehegatten persönlich<br />

angehört <strong>und</strong> haben ihren Scheidungswillen sowie ihre Zustimmung zu einer Vereinbarung<br />

selbst zu bestätigen (Art. 111 ZGB). Vertreter können in der Regel an den<br />

Anhörungen nicht teilnehmen (Art. 6 Abs. 2 VSch; vgl. auch OGer LU, ZBJV 2003,<br />

127 ff.) <strong>und</strong> damit keine tragende Rolle übernehmen (R. Vetterli, Die Anhörung der<br />

Ehegatten, FamPra.ch 2001, 59, 62). Die Anwälte, welche sich schon vor Einreichung<br />

des Scheidungsbegehrens um eine einvernehmliche Lösung bemühten,<br />

sind in ihrer Vermittlungsfunktion offensichtlich gescheitert. Sie sollten es nun dem<br />

Familienrichter überlassen, einen neuen Verständigungsversuch zu unternehmen,<br />

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