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St.gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 2006

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GVP <strong>2006</strong> Nr. 101 <strong>Gerichts</strong>praxis<br />

5. Art. 16 Abs. 1 <strong>St</strong>P räumt der Anklagekammer in ihrer Eigenschaft als fachliche<br />

Aufsichtsbehörde das Recht ein, den <strong>St</strong>rafverfolgungsbehörden, <strong>und</strong> damit insbesondere<br />

der <strong>St</strong>aatsanwaltschaft, allgemeine Weisungen zu erteilen. Zusätzlich ermächtigt<br />

Art. 67 <strong>St</strong>P die Anklagekammer, die Herausgabe von <strong>St</strong>rafakten <strong>und</strong> die<br />

Erteilung von Auskünften über ein <strong>St</strong>rafverfahren zu regeln. Die Anklagekammer<br />

hat von dieser Delegationsbefugnis Gebrauch gemacht <strong>und</strong> im Jahr 2001 eine Weisung<br />

über die Akteneinsicht, die Herausgabe von <strong>St</strong>rafakten <strong>und</strong> die Erteilung von<br />

Auskünften über ein <strong>St</strong>rafverfahren erlassen (GVP 2001 Nr. 75).<br />

Nach Art. 2 der Weisung ist – je nach Konstellation – der mit der Untersuchung<br />

betraute Untersuchungsrichter oder der <strong>St</strong>aatsanwalt zuständig zum Entscheid<br />

über die Herausgabe von <strong>St</strong>rafakten <strong>und</strong> die Erteilung von Auskünften (vgl. auch<br />

Art. 67 Abs. 2 <strong>St</strong>P). Nachdem der <strong>St</strong>aatsanwalt als Leiter des Untersuchungsamtes<br />

ohnehin befugt ist, den Untersuchungsrichtern Weisungen zu erteilen <strong>und</strong> einzelne<br />

Untersuchungshandlungen selber vorzunehmen oder die Untersuchung selbst<br />

durchzuführen (Art. 8 <strong>St</strong>P), steht ihm auf jeden Fall das Recht zu, über die Herausgabe<br />

von <strong>St</strong>rafakten <strong>und</strong> die Erteilung von Auskünften über ein <strong>St</strong>rafverfahren zu<br />

entscheiden.<br />

Das bei der Herausgabe von <strong>St</strong>rafakten <strong>und</strong> der Erteilung von Auskünften einzuhaltende<br />

Verfahren ist in der genannten Weisung der Anklagekammer geregelt.<br />

Die Aktenherausgabe <strong>und</strong> Auskunfterteilung an die Regierung ist nach 3 lit. d der<br />

Weisung zulässig, wenn die geltend gemachten Interessen das öffentliche oder<br />

private Interesse an der Geheimhaltung überwiegen. Um diese Interessenabwägung<br />

vornehmen zu können, ist den Betroffenen nach Art. 4 der Weisung Gelegenheit<br />

zur <strong>St</strong>ellungnahme einzuräumen.<br />

6. Die <strong>St</strong>aatsanwaltschaft wird deshalb zunächst eine Interessenabwägung vorzunehmen<br />

haben. In diesem Zusammenhang wird sie insbesondere zu beachten<br />

haben, dass dem verfassungsmässigen Gr<strong>und</strong>satz der Gewaltentrennung in einem<br />

demokratischen Rechtsstaat ein hoher <strong>St</strong>ellenwert zukommt. Nach Art. 55 KV fassen<br />

Kantonsrat, Regierung <strong>und</strong> Gerichte ihre Beschlüsse je unabhängig. Aus dieser<br />

Garantie erwächst den staatlichen Behörden ein gegenseitiges «Einmischungsverbot»<br />

(Regina Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, Bern 2001, 236). Für jede der<br />

drei Gewalten sind denn auch unterschiedliche Zuständigkeiten <strong>und</strong> Verfahrensregelungen<br />

vorgesehen.<br />

Im Bereich der <strong>St</strong>rafuntersuchung ist in erster Linie die Konferenz der <strong>St</strong>aatsanwälte<br />

für die Gewährleistung einer einheitlichen Gesetzesanwendung <strong>und</strong> die<br />

sachgerechte Aufgabenerfüllung durch die Untersuchungs- <strong>und</strong> Polizeiorgane zuständig<br />

(Art. 10 Abs. 1 <strong>St</strong>P). Gegen Verfügungen der Untersuchungsbehörden stehen die<br />

Beschwerde (Art. 230 <strong>St</strong>P), allenfalls die Rechtsverweigerungsbeschwerde (Art. 254<br />

<strong>St</strong>P) oder die Aufsichtsbeschwerde (Art. 16 Abs. 1 <strong>St</strong>P) an die Anklagekammer zur<br />

Verfügung. Insofern sind Beanstandungen an konkreten Untersuchungsverfahren<br />

von den dazu Berechtigten auf dem dafür gesetzlich vorgesehenen Weg vorzubringen.<br />

Parlamentarische Aufsichtsrechte bilden weder einen Ersatz für fehlende<br />

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