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St.gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 2006

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GVP <strong>2006</strong> Nr. 98 <strong>Gerichts</strong>praxis<br />

2.3 Nachdem gegen den Anzeiger eine <strong>St</strong>rafanzeige wegen Verdachts des<br />

Exhibitionismus vorlag, ist – auch wenn er sich bei seiner Anhaltung personell ordnungsgemäss<br />

ausgewiesen hatte – zumindest aus zeitlichen Gründen seine Überführung<br />

auf den Polizeiposten gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zu beanstanden. Die Polizeibeamten<br />

wären aber verpflichtet gewesen, umgehend den Untersuchungsrichter zu<br />

benachrichtigen <strong>und</strong> bei ihm die Anweisungen über das weitere Vorgehen einzuholen.<br />

Eine zwischenzeitliche Anhörung des Festgenommenen durch die Polizei ist<br />

mit seinem Einverständnis möglich, nicht jedoch gegen seinen Willen. Eine, auch<br />

nur vorübergehende, Unterbringung in einer Zelle ohne entsprechende Anordnung<br />

des Untersuchungsrichters ist gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zulässig. Von dieser Regel kann<br />

nur abgewichen werden bei Gefahr in Verzug oder bei Vorliegen von anderen wichtigen<br />

Gründen. Eine – wenn auch nur sehr kurz dauernde – Unterbringung in einer<br />

Zelle muss aber immer auch in Bezug auf den in Frage kommenden <strong>St</strong>raftatbestand<br />

als verhältnismässig erscheinen. Dies ist bei Verdacht der Widerhandlung<br />

einzig gegen ein Antragsdelikt im Regelfall nicht gerechtfertigt. Der vom Anzeiger<br />

geltend gemachte <strong>St</strong>raftatbestand des Exhibitionismus sieht eine <strong>St</strong>rafandrohung<br />

von (lediglich) maximal sechs Monaten Gefängnis vor (vgl. Art. 194 <strong>St</strong>GB).<br />

98<br />

Art. 6 Abs. 2 <strong>und</strong> 3 <strong>St</strong>P (sGS 962.1). Selbständige Tätigkeit der Polizei bei<br />

Abklärungen über mutmasslich strafbare Handlungen. Polizeiliche Einvernahmen.<br />

Anklagekammer, 24. Oktober <strong>2006</strong><br />

Aus den Erwägungen:<br />

3.1 Der Polizei obliegt in eigener Kompetenz die Aufdeckung strafbarer Handlungen,<br />

die Fahndung nach dem Täter sowie die Ermittlung <strong>und</strong> Sicherung von<br />

Spuren <strong>und</strong> Beweismitteln (Art. 6 Abs. 1 <strong>St</strong>P). Diese selbständige Tätigkeit richtet<br />

sich vor der Eröffnung einer <strong>St</strong>rafuntersuchung nach den Vorschriften des Polizeigesetzes<br />

(Art. 6 Abs. 2 <strong>St</strong>P). Wird aber – sei es aufgr<strong>und</strong> einer Anzeige eines Dritten,<br />

einer polizeilichen Rapporterstattung oder von Amtes wegen – eine <strong>St</strong>rafuntersuchung<br />

eröffnet, endet die selbständige Tätigkeit der Polizei. Nach Eröffnung der<br />

<strong>St</strong>rafuntersuchung hat sie – unter Vorbehalt der gesetzlich zugewiesenen Befugnisse<br />

bei Gefahr im Verzug – die Anordnungen der <strong>St</strong>aatsanwaltschaft (<strong>und</strong> der Gerichte)<br />

auszuführen (Art. 6 Abs. 3 <strong>St</strong>P).<br />

Über die Eröffnung der <strong>St</strong>rafuntersuchung entscheidet der Untersuchungsrichter<br />

nach pflichtgemässem Ermessen (Art. 173 <strong>St</strong>P). Die Eröffnung selbst erfolgt in Be-<br />

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