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St.gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 2006

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<strong>St</strong>aats- <strong>und</strong> Verwaltungsrecht GVP <strong>2006</strong> Nr. 4<br />

nur hinsichtlich des Sachverhalts, sondern auch allgemein zur in Aussicht genommenen<br />

rechtlichen Einordnung zu orientieren ist (vgl. BGE 126 I 19 E. 2 S. 21 f.;<br />

Pra 2000 Nr. 92; H. Vest, in: <strong>St</strong>.Galler Kommentar zur BV, Zürich <strong>und</strong> Lachen 2002,<br />

N 17 zu Art. 32). Das Gericht ist an diese rechtliche Einschätzung zwar nicht geb<strong>und</strong>en,<br />

hat den Angeschuldigten aber aufgr<strong>und</strong> des Gehörsanspruchs entsprechend<br />

zu informieren, wenn es den eingeklagten Sachverhalt unter eine schärfere oder<br />

eine zusätzliche <strong>St</strong>rafbestimmung subsumieren <strong>und</strong> dies straferhöhend berücksichtigen<br />

will oder wenn sie einen anderen <strong>St</strong>raftatbestand heranzieht, mit dem nicht<br />

gerechnet werden musste (BGE 126 I 19 E. 2c/aa S. 22; N. Oberholzer, Gr<strong>und</strong>züge<br />

des <strong>St</strong>rafprozessrechts, 2. A., Bern 2005, Rz. 732 f.). Eine vorgängige Information<br />

über eine nachher ausgefällte <strong>St</strong>rafe oder Massnahme ist strafprozessual aufgr<strong>und</strong><br />

des Gehörsanspruchs dann verlangt, wenn damit aufgr<strong>und</strong> der Anklage, des Tatvorwurfs<br />

<strong>und</strong> der Beweiserhebung auch nicht zu rechnen ist (BGE 101 Ia 292 E. 1d<br />

S. 296; Hauser/Schweri, Schweizerisches <strong>St</strong>rafprozessrecht, 6. A., Basel 2005, § 50<br />

Rz. 12) Kantonalrechtlich sieht Art. 4 lit. c KV vor, dass ein Anspruch auf rechtliches<br />

Gehör in Verfahren vor Verwaltungs- <strong>und</strong> <strong>Gerichts</strong>instanzen nach Massgabe der<br />

B<strong>und</strong>esverfassung besteht. Art. 15 Abs. 2 VRP hält im Einklang damit fest, dass<br />

Verfügungen, die erheblich belasten, nur zulässig sind, wenn die Betroffenen den<br />

wesentlichen Sachverhalt kennen <strong>und</strong> Gelegenheit zur <strong>St</strong>ellungnahme hatten. Die<br />

angeführten strafprozessualen Gr<strong>und</strong>sätze finden sich wieder in Art. 4 lit. g KV <strong>und</strong><br />

daran anschliessend in Art. 188 <strong>und</strong> 218 <strong>St</strong>P.<br />

Das anwaltliche Disziplinarrecht <strong>und</strong> demzufolge auch das zugr<strong>und</strong>e liegende<br />

Verfahren sind (…) internrechtlich dem Verwaltungsrecht zuzuordnen, <strong>und</strong> konventionsrechtlich<br />

fällt eine strafrechtliche Einordnung gr<strong>und</strong>sätzlich ausser Betracht.<br />

Wendet man den Gr<strong>und</strong>satz des rechtlichen Gehörs dementsprechend an, sind die<br />

vom Beschwerdeführer formulierten Rügen unzutreffend. Der Anspruch auf rechtliches<br />

Gehör beinhaltet nach dem Gesagten im Rahmen des Verwaltungsverfahrens<br />

nicht das Recht, vorweg über die ins Auge gefasste Rechtsanwendung <strong>und</strong><br />

Sanktion in Kenntnis gesetzt zu werden. Es kann ferner auch nicht gesagt werden,<br />

nach den in der Mitteilung über die Eröffnung des Verfahrens vom 10. Juni 2005<br />

enthaltenen Informationen (Tatvorwürfe <strong>und</strong> Ankündigung der Prüfung der Verletzung<br />

von Berufsregeln <strong>und</strong> insbesondere der Verletzung von Art. 12 lit. a <strong>und</strong> i<br />

BGFA) hätte ausnahmsweise vorab über die zusätzlich in Aussicht genommene Anwendung<br />

des Art. 12 lit. c BGFA informiert werden müssen, weil damit nicht habe<br />

gerechnet werden können. Die Anwaltskammer gab in ihrem Schreiben nicht zu<br />

verstehen, dass sie sich auf die beiden konkret angeführten Berufsregeln beschränken<br />

würde. Zudem musste für eine Fachperson bereits aufgr<strong>und</strong> des mitgeteilten<br />

Sachverhalts klar sein, dass auch die Frage einer Interessenkollision im<br />

Raum stand. Die entsprechenden tatsächlichen Gr<strong>und</strong>lagen der Verfügung waren<br />

bereits in der Eröffnungsmitteilung dargestellt.<br />

Selbst wenn man mangels Vorliegens ausdrücklich als anwendbar erklärter Verfahrensvorschriften<br />

<strong>und</strong> einer gewissen Nähe zur strafrechtlichen Anklage zu einer<br />

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