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St.gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 2006

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GVP <strong>2006</strong> Nr. 13 <strong>Gerichts</strong>praxis<br />

Ärzte (<strong>und</strong> dazu gehören im vorliegenden Fall auch die Ärzte der psychiatrischen<br />

Klinik Z.___) – unaufgefordert oder im Auftrag der IV-<strong>St</strong>elle – einen Bericht über die<br />

Arbeitsfähigkeit einer versicherten Person, so treten sie verfahrensrechtlich nicht<br />

als Sachverständige, sondern als Auskunftspersonen mit besonderer Sachkenntnis<br />

auf. Als Sachverständige unterstünden sie nämlich der Ausstandspflicht. Aufgr<strong>und</strong><br />

der naturgemäss engen Beziehung zu der von ihnen behandelten versicherten Person<br />

müssten sie immer – zumindest dem äusseren Anschein nach – als befangen<br />

betrachtet werden, d. h. ihre Berichte müssten als Beweismittel unberücksichtigt<br />

bleiben. Auf Auskunftspersonen trifft dies nicht zu, d. h. ihre Aussagen müssen<br />

nicht aus formalen Gründen unberücksichtigt bleiben. Einer allfälligen Befangenheit<br />

kann bei der Würdigung, bei der Bemessung der Überzeugungskraft ihrer Aussagen<br />

Rechnung getragen werden. Kann sich ein behandelnder Arzt bei der Berichterstattung<br />

aus seiner Rolle als Vertragspartner <strong>und</strong> Therapeut lösen <strong>und</strong> sich wie<br />

ein unabhängiger Sachverständiger äussern, so ist seinen Angaben eine beachtliche<br />

Überzeugungskraft beizumessen. Die Aussage eines behandelnden Arztes, die<br />

in hohem Masse objektiv ist, kann durchaus eine Überzeugungskraft entfalten, die<br />

der Überzeugungskraft eines gut begründeten Gutachtens eines unabhängigen<br />

Sachverständigen entspricht. In der Regel lässt sich nur anhand des Berichtes<br />

beurteilen, wie weit sich der behandelnde Arzt der Funktion eines Sachverständigen<br />

angenähert hat. Indizien für eine objektive Berichterstattung sind etwa eine<br />

kritische Auseinandersetzung mit der Selbsteinschätzung der versicherten Person,<br />

eine objektive <strong>und</strong> einlässliche Auseinandersetzung mit einer abweichenden Einschätzung,<br />

eine medizinisch breit abgestützte Begründung für die eigene Einschätzung<br />

oder eine klar kommunizierte Bereitschaft, die eigene Einschätzung durch<br />

einen unabhängigen Sachverständigen überprüfen zu lassen. Die Berichte von<br />

X.___, von Y.___ <strong>und</strong> der psychiatrischen Klinik Z.___ weisen keine Elemente auf,<br />

die für eine besondere Objektivität der Berichterstattung sprechen würden. Es<br />

fehlt eine kritische Distanz zur Selbsteinschätzung der Beschwerdeführerin, insbesondere<br />

eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob es der Beschwerdeführerin bei<br />

Aufbietung aller ihr zur Verfügung stehenden Willenskraft möglich <strong>und</strong> zumutbar<br />

wäre, einer Teilerwerbstätigkeit nachzugehen oder einen nicht unerheblichen Teil<br />

des Haushaltes zu erledigen. Es fehlt auch eine detaillierte Begründung der eigenen<br />

Auffassung im Lichte der abweichenden Auffassung der MEDAS A.___. Die<br />

immer wieder für die Überzeugungskraft der Angaben behandelnder Ärzte ins Feld<br />

geführte lange Vertrautheit mit der versicherten Person spricht erfahrungsgemäss<br />

sogar gegen die Objektivität dieser Angaben, denn die lange Erfolglosigkeit der<br />

Therapiebemühungen, die konstante Konfrontation mit der Arbeitsunfähigkeitsüberzeugung<br />

des Patienten <strong>und</strong> dessen konsequenter Umsetzung dieser Überzeugung<br />

im erwerblichen <strong>und</strong> häuslichen Bereich führen dazu, dass die Hausärzte<br />

dazu neigen, die pessimistische Einstellung ihrer Patienten zu übernehmen <strong>und</strong> als<br />

objektiv ausgewiesen zu betrachten. Zusammenfassend ist deshalb festzustellen,<br />

dass die vorliegenden Berichte der behandelnden Ärzte entgegen der Auffassung<br />

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