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St.gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 2006

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GVP <strong>2006</strong> Nr. 65 <strong>Gerichts</strong>praxis<br />

Hier behauptet der Vater, die Situation habe sich kurz nach Genehmigung der<br />

Elternvereinbarung <strong>und</strong> schon beim allerersten Versuch, diese umzusetzen, gr<strong>und</strong>legend<br />

verändert. Die Mutter habe nämlich die energische Weigerung des Kindes,<br />

mit ihr wegzugehen, nicht akzeptiert, sondern habe ihn in einer Art «Tobsuchtsanfall»<br />

mit <strong>St</strong>einen beworfen. Das Kind habe diese Szene beobachtet, erinnere sich<br />

in traumatischer Weise immer wieder daran, empfinde nun anhaltende Angst vor<br />

der Mutter <strong>und</strong> äussere sich spontan, es wolle keinen Kontakt mehr zu ihr. Die<br />

Mutter ihrerseits meint, der <strong>St</strong>reit zwischen den Eltern sei für das Kind weder neu<br />

noch besonders aufregend gewesen <strong>und</strong> liefere keine Begründung für die angeblich<br />

plötzlich entstandene Ablehnung. Vielmehr schiebe der Vater den Widerstand<br />

des Kindes nur vor <strong>und</strong> verfolge damit auch Interessen finanzieller Natur, weil er<br />

sonst gemäss der Scheidungsvereinbarung für die Kosten des Ferienaufenthalts<br />

aufkommen müsste.<br />

Über den Vorfall wurde nach telefonischer Auskunft der örtlichen Polizeistation<br />

kein Rapport aufgenommen <strong>und</strong> das zeigt, dass das Ereignis jedenfalls nicht besonders<br />

dramatisch gewesen sein kann. Damit soll allerdings nicht bezweifelt werden,<br />

dass die Mutter auf die unvermutete Absage hin mit Tätlichkeiten gegen den<br />

Vater reagierte. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass das Kind durch den <strong>St</strong>reit beunruhigt<br />

wurde, aber nicht glaubhaft, dass es dadurch stark verstört war, weil es<br />

ähnliche, wenn vielleicht auch nicht so heftige Auseinandersetzungen früher schon<br />

oft miterlebt hatte. Eine vernünftige Erklärung dafür, dass das Kind gewissermassen<br />

von einem Tag auf den anderen eine einzig mit dem letzten Erlebnis begründete,<br />

tiefsitzende <strong>und</strong> unerschütterliche Abneigung gegen die Mutter entwickelt haben<br />

soll, lässt sich nicht finden. In einem Vollstreckungsverfahren besteht gewiss kein<br />

Anlass, diese Frage in einem kinderpsychologischen Gutachten abklären zu lassen.<br />

Es sind nämlich andere, durchaus normale Gründe für das Verhalten des Kindes<br />

denkbar, <strong>und</strong> sie liegen hier umso näher, weil seine Weigerung Auslöser des Elternkonflikts<br />

<strong>und</strong> nicht erst dessen Folge war. Wenn ein Kind sagt, dass es nicht<br />

mitkommen wolle, so kann es sich um gewöhnliche Unlust handeln, eine Situation,<br />

in der es sich wohl fühlt, loszulassen, um einfühlbare Angst, den einen Elternteil zu<br />

enttäuschen, <strong>und</strong> um begreifliche Scheu, dem anderen, der ihm nach mehrmonatiger<br />

Abwesenheit fremd geworden ist, zu folgen (J. Schreiner, FamKomm Scheidung,<br />

Anhang Psychologie, N 70).<br />

Von den Eltern wäre zu erwarten, dass sie diese typisch kindliche Haltung verstehen<br />

<strong>und</strong> weder bagatellisieren noch verstärken. Auf Seiten der Mutter würde das bedingen,<br />

dass sie Geduld mit dem Kind aufbringt, ihm Angebote statt Vorwürfe macht<br />

<strong>und</strong> nicht alle Schuld an seinem Widerstand dem anderen Elternteil zuschiebt. Auf<br />

Seiten des Vaters würde es voraussetzen, dass er dem Kind sein Einverständnis mit<br />

der Kontaktaufnahme signalisiert <strong>und</strong> es zu einem Versuch ermuntert. Es wäre hingegen<br />

ausgesprochen kontraproduktiv, den Umgang auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben,<br />

um das Kind zur Ruhe kommen zu lassen, <strong>und</strong> gerade das verlangt der<br />

Vater, der eine Ausübung des Besuchsrechts r<strong>und</strong>weg ablehnt, ohne irgendwelche<br />

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