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St.gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 2006

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GVP <strong>2006</strong> Nr. 72 <strong>Gerichts</strong>praxis<br />

Mitglied einer Behörde, als Beamter, Vorm<strong>und</strong>, Beistand, berufsmässiger Vermögensverwalter<br />

oder bei der Ausübung eines Berufes, Gewerbes oder Handelsgeschäftes,<br />

zu der er durch eine Behörde ermächtigt ist, begeht.<br />

aa) Zur Ausübung eines Berufes, Gewerbes oder Handelsgeschäfts ermächtigt<br />

ist laut B<strong>und</strong>esgericht jeder, dem diese Bewilligung nach Art. 54 Abs. 1 <strong>St</strong>GB (Berufsverbot)<br />

wieder entzogen werden kann (BGE 103 IV 18, 20). Dazu gehören Berufe,<br />

welche sowohl nach eidgenössischem Recht als auch nach kantonalen Vorschriften<br />

einer Bewilligungspflicht unterliegen (Zehnter, Basler Kommentar, Art. 54 <strong>St</strong>GB N 8).<br />

Der Gr<strong>und</strong> des höheren <strong>St</strong>rafschutzes liegt darin, dass der <strong>St</strong>aat mit der Erteilung<br />

einer solchen Bewilligung das Zutrauen der Öffentlichkeit in Personen, die einen<br />

solchen Beruf oder ein derartiges Gewerbe oder Handelsgeschäft betreiben, erhöht<br />

(BGE 103 IV 18, 20 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien).<br />

bb) Im Sinne der b<strong>und</strong>esgerichtlichen Rechtsprechung äussern sich <strong>St</strong>ratenwerth<br />

(BT/1, § 13 N 64) sowie bereits Zürcher (Schweizerisches <strong>St</strong>rafgesetzbuch,<br />

Erläuterungen zum Vorentwurf vom April 1908, Bern 1914, 148), dass Anwälte, Berufsnotare<br />

<strong>und</strong> Pfandleiher unter die Bestimmung von Art. 138 Ziff. 2 <strong>St</strong>GB fallen.<br />

Kritisch hingegen sind Niggli/Riedo <strong>und</strong> Schubarth/Albrecht, die fordern, dass – in<br />

Anlehnung an den Begriff des berufsmässigen Vermögensverwalters – die Ermächtigung<br />

gerade im Hinblick auf das Anvertrauen von Sachen <strong>und</strong> Vermögenswerten<br />

bzw. auf eine Vertrauensstellung im finanziellen Bereich erteilt worden sei<br />

(Niggli/Riedo, Basler Kommentar, Art. 138 <strong>St</strong>GB N 179; Schubarth/Albrecht, Kommentar<br />

zum schweizerischen <strong>St</strong>rafrecht, Art. 140 a<strong>St</strong>GB N 59). Eine solche Anlehnung<br />

an den Begriff des berufsmässigen Vermögensverwalters scheint aber zu weit<br />

gefasst. Zum einen hätte dann auf die separate Nennung bewilligungspflichtiger Berufe<br />

verzichtet werden können, da sie unter die Tätergruppe der berufsmässigen<br />

Vermögensverwalter subsumiert werden könnten. Zum andern zeigt sich insbesondere<br />

bei den weiteren Tätergruppen der Behördemitglieder oder der Beamten, dass<br />

dort ein ähnliches Erfordernis nicht besteht, wird doch bei jenen nicht verlangt, dass<br />

ihr Amt gerade in der Verwaltung anvertrauter Sachen <strong>und</strong> Vermögenswerten bzw.<br />

im finanziellen Bereich bestehen soll. So wurde der qualifizierte Tatbestand etwa<br />

auf einen kantonalen Landjäger bzw. auf Polizisten im Zusammenhang mit Bussgeldern<br />

angewendet oder auf den Brunnenmeister einer öffentlich-rechtlichen Wasserkorporation<br />

(Niggli/Riedo, a. a. O., Art. 138 <strong>St</strong>GB N 151 <strong>und</strong> 157). Diese Berufe bzw.<br />

Ämter werden nun aber nicht mit der Verwaltung von Geld in Verbindung gebracht.<br />

Ebenso dürfte beispielsweise auch der Präsident oder Schreiber/Aktuar einer Behörde<br />

unter den qualifizierten Tatbestand fallen, nicht nur der Kassier.<br />

cc) Ausschlaggebend muss sein – wie dies das B<strong>und</strong>esgericht ausführt –, dass<br />

der <strong>St</strong>aat mit der Erteilung einer Bewilligung das Zutrauen der Öffentlichkeit in Personen,<br />

die einen entsprechenden Beruf betreiben, erhöht (BGE 103 IV 18, 20). Die<br />

Bestimmung soll also Tätergruppen erfassen, die ein erhöhtes Vertrauen geniessen<br />

(Trechsel, Kurzkommentar, Art. 138 <strong>St</strong>GB N 19 mit Hinweis auf BGE 117 IV 22, 120<br />

IV 184 <strong>und</strong> LGVE 1993 I Nr. 42). Dies ist bei Anwälten der Fall, <strong>und</strong> zwar insbeson-<br />

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