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Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Zweites ... - nubuk.com

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her der unbedingten Willkür der Beamten anheimgegebene Entscheidung über den<br />

Besitzstand allmählich rechtlichen Regeln unterworfen und neben dem Eigentumsdas<br />

Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die Magistratsgewalt einen wichtigen<br />

Teil ihrer Macht einbüßte. Im Kriminalverfahren wurde das Volksgericht, die<br />

bisherige Gnaden- zur rechtlich gesicherten Appellationsinstanz. War der Angeklagte<br />

nach Verhörung (quaestio) von dem Beamten verurteilt und berief sich auf<br />

die Bürgerschaft, so schritt der Magistrat vor dieser zu dem Weiterverhör (anquisitio),<br />

und wenn er nach dreimaliger Verhandlung vor der Gemeinde seinen Spruch<br />

wiederholt hatte, wurde im vierten Termin das Urteil von der Bürgerschaft bestätigt<br />

oder verworfen. Milderung war nicht gestattet. Denselben republikanischen Sinn<br />

atmen die Sätze, daß das Haus den Bürger schütze und nur außerhalb des Hauses<br />

eine Verhaftung stattfinden könne; daß die Untersuchungshaft zu vermeiden und<br />

es jedem angeklagten und noch nicht verurteilten Bürger zu gestatten sei, durch<br />

Verzicht auf sein Bürgerrecht den Folgen der Verurteilung, soweit sie nicht das<br />

Vermögen, sondern die Person betrafen, sich zu entziehen – Sätze, die allerdings<br />

keineswegs gesetzlich formuliert wurden und den anklagenden Beamten also nicht<br />

rechtlich banden, aber doch durch ihren moralischen Druck namentlich für die Beschränkung<br />

der Todesstrafe von dem größten Einfluß gewesen sind. Indes wenn das<br />

römische Kriminalrecht für den starken Bürgersinn wie für die steigende Humanität<br />

dieser Epoche ein merkwürdiges Zeugnis ablegt, so litt es dagegen praktisch<br />

namentlich unter den hier besonders schädlich nachwirkenden ständischen Kämpfen.<br />

Die aus diesen hervorgegangene konkurrierende Kriminaljurisdiktion erster<br />

Instanz der sämtlichen Gemeindebeamten war die Ursache, daß es in dem römischen<br />

Kriminalverfahren eine feste Instruktionsbehörde und eine ernsthafte Voruntersuchung<br />

fortan nicht mehr gab; und indem das Kriminalurteil letzter Instanz<br />

in den Formen und von den Organen der Gesetzgebung gefunden ward, auch seinen<br />

Ursprung aus dem Gnadenverfahren niemals verleugnete, überdies noch die<br />

Behandlung der polizeilichen Bußen auf das äußerlich sehr ähnliche Kriminalverfahren<br />

nachteilig zurückwirkte, wurde nicht etwa mißbräuchlich, sondern gewis-<br />

schwankende und unentwickelte römische Kriminalrecht könnte von der Unhaltbarkeit dieser unklaren<br />

Vorstellungen auch diejenigen überzeugen, denen der Satz zu einfach scheinen möchte, daß ein<br />

gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein krankes ein krankes. Abgesehen von allgemeineren<br />

staatlichen Verhältnissen, von welchen die Jurisprudenz eben auch und sie vor allem abhängt, liegen<br />

die Ursachen der Trefflichkeit des römischen Zivilrechts hauptsächlich in zwei Dingen: einmal darin,<br />

daß der Kläger und der Beklagte gezwungen wurden, vor allen Dingen die Forderung und ebenso die<br />

Einwendung in bindender Weise zu motivieren und zu formulieren; zweitens darin, daß man für die<br />

gesetzliche Fortbildung des Rechtes ein ständiges Organ bestellte und dies an die Praxis unmittelbar<br />

anknüpfte. Mit jenem schnitten die Römer die advokatische Rabulisterei, mit diesem die unfähige<br />

Gesetzmacherei ab, soweit sich dergleichen abschneiden läßt, und mit beiden zusammen genügten<br />

sie, soweit es möglich ist, den zwei entgegenstehenden Forderungen, daß das Recht stets fest und<br />

daß es stets zeitgemäß sein soll.

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