Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Zweites ... - nubuk.com
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Anlässe sein; man mochte nach dem Tode des lebenslänglichen Herrn beschließen<br />
keinen solchen wieder zu erwählen, wie nach Romulus’ Tode der römische Senat<br />
versucht haben soll; oder der Herr mochte freiwillig abdanken, was angeblich<br />
König Servius Tullius beabsichtigt hat; oder das Volk mochte gegen einen tyrannischen<br />
Regenten aufstehen und ihn vertreiben, wie dies das Ende des römischen Königtums<br />
war. Denn mag die <strong>Geschichte</strong> der Vertreibung des letzten Tarquinius, “des<br />
Übermütigen”, auch noch so sehr in Anekdoten ein- und zur Novelle ausgesponnen<br />
sein, so ist doch an den Grundzügen nicht zu zweifeln. Daß der König es unterließ<br />
den Senat zu befragen und zu ergänzen, daß er Todesurteile und Konfiskationen<br />
ohne Zuziehung von Ratmännern aussprach, daß er in seinen Speichern ungeheure<br />
Kornvorräte aufhäufte und den Bürgern Kriegsarbeit und Handdienste über die Gebühr<br />
ansann, bezeichnet die Überlieferung in glaublicher Weise als die Ursachen<br />
der Empörung; von der Erbitterung des Volkes zeugt das förmliche Gelöbnis, das<br />
dasselbe Mann für Mann für sich und seine Nachkommen ablegte, fortan keinen<br />
König mehr zu dulden, und der blinde Haß, der seitdem an den Namen des Königs<br />
sich anknüpfte, vor allem aber die Verfügung, daß der “Opferkönig”, den man<br />
kreieren zu müssen glaubte, damit nicht die Götter den gewohnten Vermittler vermißten,<br />
kein weiteres Amt solle bekleiden können und also dieser zwar der erste,<br />
aber auch der ohnmächtigste Mann im römischen Gemeindewesen ward. Mit dem<br />
letzten König wurde sein ganzes Geschlecht verbannt – ein Beweis, welche Geschlossenheit<br />
damals noch die gentilizischen Verbindungen hatten. Die Tarquinier<br />
siedelten darauf über nach Caere, vielleicht ihrer alten Heimat, wo ihr Geschlechtsgrab<br />
kürzlich aufgedeckt worden ist. An die Stelle aber des einen lebenslänglichen<br />
traten zwei jährige Herrscher an die Spitze der römischen Gemeinde.<br />
Dies ist alles, was historisch über dies wichtige Ereignis als sicher angesehen<br />
werden kann 1 . Daß in einer großen weitherrschenden Gemeinde, wie die römische<br />
war, die königliche Gewalt, namentlich wenn sie durch mehrere Generationen bei<br />
demselben Geschlechte gewesen, widerstandsfähiger und der Kampf also lebhafter<br />
war als in den kleineren Staaten, ist begreiflich; aber auf eine Einmischung auswärtiger<br />
Staaten in denselben deutet keine sichere Spur. Der große Krieg mit Etrurien,<br />
der übrigens wohl nur durch chronologische Verwirrung in den römischen Jahr-<br />
1 Die bekannte Fabel richtet größtenteils sich selbst; zum guten Teil ist sie aus Beinamenerklärung<br />
(Brutus, Poplicola, Scaevola) herausgesponnen. Aber sogar die scheinbar geschichtlichen Bestandteile<br />
derselben zeigen bei genauerer Erwägung sich als erfunden. Dahin gehört, daß Brutus Reiterhauptmann<br />
(tribunus celerum) gewesen und als solcher den Volksschluß über die Vertreibung der<br />
Tarquinier beantragt haben soll; denn es ist nach der römischen Verfassung ganz unmöglich, daß ein<br />
bloßer Offizier das Recht gehabt habe, die Kurien zu berufen. Offenbar ist diese ganze Angabe zum<br />
Zweck der Herstellung eines Rechtsbodens für die römische Republik ersonnen, und recht schlecht<br />
ersonnen, indem dabei der tribunus celerum mit dem ganz verschiedenen magister equitum verwechselt<br />
und dann das dem letzteren kraft seines prätorischen Ranges zustehende Recht, die Zenturien zu<br />
berufen, auf die Kurienversammlung bezogen ward.<br />
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