Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Zweites ... - nubuk.com
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Königsgeschlechts mochten in allgemeiner, mündlich fortgepflanzter wahrhafter<br />
Überlieferung fortleben. Anderes lieferte die Tradition der adligen Geschlechter,<br />
wie zum Beispiel die Fabiererzählungen mehrfach hervortreten. In anderen Erzählungen<br />
wurden uralte Volksinstitutionen, besonders mit großer Lebendigkeit rechtliche<br />
Verhältnisse symbolisiert und historisiert; so die Heiligkeit der Mauern in<br />
der Erzählung vom Tode des Remus, die Abschaffung der Blutrache in der von<br />
dem Ende des Königs Tatius, die Notwendigkeit der die Pfahlbrücke betreffenden<br />
Ordnung in der Sage von Horatius Cocles 5 , die Entstehung des Gnadenurteils<br />
der Gemeinde in der schönen Erzählung von den Horatiern und Curiatiern, die<br />
Entstehung der Freilassung und des Bürgerrechts der Freigelassenen in derjenigen<br />
von der Tarquinierverschwörung und dem Sklaven Vindicius. Ebendahin gehört<br />
die <strong>Geschichte</strong> der Stadtgründung selbst, welche Roms Ursprung an Latium<br />
und die allgemeine latinische Metropole Alba anknüpfen soll. Zu den Beinamen<br />
der vornehmen Römer entstanden historische Glossen, wie zum Beispiel Publius<br />
Valerius der “Volksdiener” (Poplicola) einen ganzen Kreis derartiger Anekdoten<br />
um sich gesammelt hat, und vor allem knüpften an den heiligen Feigenbaum und<br />
andere Plätze und Merkwürdigkeiten der Stadt sich in großer Menge Küstererzählungen<br />
von der Art derjenigen an, aus denen über ein Jahrtausend später auf<br />
demselben Boden die Mirabilia Urbis erwuchsen. Eine gewisse Zusammenknüpfung<br />
dieser verschiedenen Märchen, die Feststellung der Reihe der sieben Könige,<br />
die ohne Zweifel auf der Geschlechterrechnung ruhende Ansetzung ihrer Regierungszeit<br />
insgesamt auf 240 Jahre 6 und selbst der Anfang offizieller Aufzeichnung<br />
dieser Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in dieser Epoche stattgefunden: die<br />
Grundzüge der Erzählung und namentlich deren Quasichronologie treten in der<br />
späteren Tradition mit so unwandelbarer Festigkeit auf, daß schon darum ihre Fixierung<br />
nicht in, sondern vor die literarische Epoche Roms gesetzt werden muß.<br />
Wenn bereits im Jahre 458 (296) die an den Zitzen der Wölfin saugenden Zwillinge<br />
Romulus und Remus in Erz gegossen an dem heiligen Feigenbaum aufgestellt<br />
wurden, so müssen die Römer, die Latium und Samnium bezwangen, die Entstehungsgeschichte<br />
ihrer Vaterstadt nicht viel anders vernommen haben als wir sie bei<br />
Livius lesen; sogar die Aboriginer, das sind die “Vonanfanganer”, dies naive Rudiment<br />
der geschichtlichen Spekulation des latinischen Stammes, begegnen schon<br />
um 465 (289) bei dem sizilischen Schriftsteller Kallias. Es liegt in der Natur der<br />
Chronik, daß sie zu der <strong>Geschichte</strong> die Vorgeschichte fügt und wenn nicht bis auf<br />
die Entstehung von Himmel und Erde, doch wenigstens bis auf die Entstehung<br />
5 Diese Richtung der Sage erhellt deutlich aus dem älteren Plinius (nat. 36, 15, 100).<br />
6 Man rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert und rundete die Ziffer 233<br />
1/3 auf 240 ab, ähnlich wie die Epoche zwischen der Königsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre<br />
abgerundet ward. Wodurch man gerade auf diese Zahlen geführt ward, zeigt zum Beispiel die oben<br />
erörterte Feststellung des Flächenmaßes.