Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Zweites ... - nubuk.com
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die gesamte Bürgerschaft verbindlichen Abstimmungen nicht einmal mehr mitgefragt<br />
ward.<br />
Der Kampf zwischen den römischen Geschlechtern und Gemeinen war damit<br />
im wesentlichen zu Ende. Wenn der Adel von seinen umfassenden Vorrechten noch<br />
den tatsächlichen Besitz der einen Konsul- und der einen Zensorstelle bewahrte, so<br />
war er dagegen vom Tribunat, der plebejischen Ädilität, von der zweiten Konsulund<br />
Zensorstelle und von der Teilnahme an den rechtlich den Bürgerschaftsabstimmungen<br />
gleichstehenden Abstimmungen der Plebs gesetzlich ausgeschlossen;<br />
in gerechter Strafe seines verkehrten und eigensinnigen Widerstrebens hatten die<br />
ehemaligen patrizischen Vorrechte sich für ihn in ebenso viele Zurücksetzungen<br />
verwandelt. Indes der römische Geschlechtsadel ging natürlich darum keineswegs<br />
unter, weil er zum leeren Namen geworden war. Je weniger der Adel bedeutete<br />
und vermochte, desto reiner und ausschließlicher entwickelte sich der junkerhafte<br />
Geist. Die Hoffart der “Ramner” hat das letzte ihrer Standesprivilegien um Jahrhunderte<br />
überlebt; nachdem man standhaft gerungen hatte, “das Konsulat aus dem<br />
plebejischen Kote zu ziehen”, und sich endlich widerwillig von der Unmöglichkeit<br />
dieser Leistung hatte überzeugen müssen, trug man wenigstens schroff und<br />
verbissen sein Adeltum zur Schau. Man darf, um die <strong>Geschichte</strong> Roms im fünften<br />
und sechsten Jahrhundert richtig zu verstehen, dies schmollende Junkertum nicht<br />
vergessen; es vermochte zwar nichts weiter als sich und andere zu ärgern, aber<br />
dies hat es denn auch nach Vermögen getan. Einige Jahre nach dem Ogulnischen<br />
Gesetz (458 296) kam ein bezeichnender Auftritt dieser Art vor: eine patrizische<br />
Frau, welche an einen vornehmen und zu den höchsten Würden der Gemeinde gelangten<br />
Plebejer vermählt war, wurde dieser Mißheirat wegen von dem adligen<br />
Damenkreise ausgestoßen und zu der gemeinsamen Keuschheitsfeier nicht zugelassen;<br />
was denn zur Folge hatte, daß seitdem in Rom eine besondere adlige und<br />
eine besondere bürgerliche Keuschheitsgöttin verehrt ward. Ohne Zweifel kam es<br />
auf Velleitäten dieser Art sehr wenig an und hat auch der bessere Teil der Geschlechter<br />
sich dieser trübseligen Verdrießlichkeitspolitik durchaus enthalten; aber<br />
ein Gefühl des Mißbehagens ließ sie doch auf beiden Seiten zurück, und wenn der<br />
Kampf der Gemeinde gegen die Geschlechter an sich eine politische und selbst eine<br />
sittliche Notwendigkeit war, so haben dagegen diese lange nachzitternden Schwingungen<br />
desselben, sowohl die zwecklosen Nachhutgefechte nach der entschiedenen<br />
Schlacht als auch die leeren Rang- und Standeszänkereien, das öffentliche und<br />
private Leben der römischen Gemeinde ohne Not durchkreuzt und zerrüttet.<br />
Indes nichtsdestoweniger ward der eine Zweck des von den beiden Teilen der<br />
Plebs im Jahre 387 (367) geschlossenen Kompromisses, die Beseitigung des Patriziats,<br />
im wesentlichen vollständig erreicht. Es fragt sich weiter, inwiefern dies<br />
auch von den beiden positiven Tendenzen desselben gesagt werden kann und ob<br />
die neue Ordnung der Dinge in der Tat der sozialen Not gesteuert und die po-<br />
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