Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Zweites ... - nubuk.com
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ßerhalb der Stadt zubringen dürfe und Tag und Nacht seine Tür offenstehen müsse.<br />
Weiter lag es in der Gewalt des Volkstribunats, der Beschlußfassung der Gemeinde,<br />
die ja andernfalls kraft ihres souveränen Rechts die von ihr der Plebs verliehenen<br />
Privilegien ohne weiteres hätte zurücknehmen können, durch ein einziges Wort<br />
eines einzelnen Tribunen Schranken zu setzen.<br />
Aber diese Rechte wären wirkungslos gewesen, wenn nicht gegen den, der<br />
sich nicht daran kehrte, insonderheit gegen den zuwiderhandelnden Magistrat dem<br />
Volkstribun eine augenblicklich wirkende und unwiderstehliche Zwangsgewalt zugestanden<br />
hätte. Es ward ihm diese in der Form erteilt, daß das Zuwiderhandeln<br />
gegen den seines Rechts sich bedienenden Tribun, vor allen Dingen das Vergreifen<br />
an seiner Persönlichkeit, welche auf dem heiligen Berg jeder Plebejer Mann<br />
für Mann für sich und seine Nachkommen geschworen hatte, für jetzt und alle Zukunft<br />
vor jeder Unbill zu schützen, ein todeswürdiges Verbrechen sein sollte und<br />
die Handhabung dieser Kriminaljustiz nicht den Magistraten der Gemeinde, sondern<br />
denen der Plebs übertragen ward. Kraft dieses seines Richteramts konnte der<br />
Tribun jeden Bürger, vor allem den Konsul im Amte, zur Verantwortung ziehen,<br />
ihn, wenn er nicht freiwillig sich stellte, greifen lassen, ihn in Untersuchungshaft<br />
setzen oder Bürgschaftstellung ihm gestatten und alsdann auf Tod oder Geldbuße<br />
erkennen. Zu diesem Zweck standen die beiden zugleich bestellten Ädilen des Volkes<br />
den Tribunen als Diener und Gehilfen zur Seite, zunächst, um die Verhaftung<br />
zu bewirken, weshalb auch ihnen dieselbe Unangreifbarkeit durch den Gesamteid<br />
der Plebejer versichert ward. Außerdem hatten die Ädilen selbst gleich den Tribunen,<br />
aber nur für die geringeren mit Bußen sühnbaren Sachen, richterliche Befugnis.<br />
Ward gegen den tribunizischen oder ädilizischen Spruch Berufung eingelegt,<br />
so ging diese nicht an die Gesamtbürgerschaft, mit der zu verhandeln die Beamten<br />
der Plebs überall nicht befugt waren, sondern an die Gesamtheit der Plebejer, die<br />
in diesem Fall nach Kurien zusammentrat und durch Stimmenmehrheit endgültig<br />
entschied.<br />
Dies Verfahren war allerdings mehr ein Gewalt- als ein Rechtsakt, zumal wenn<br />
es gegen einen Nichtplebejer angewandt ward, wie dies doch eben in der Regel<br />
der Fall sein mußte. Es war weder mit dem Buchstaben noch mit dem Geist der<br />
Verfassung irgend zu vereinigen, daß der Patrizier von Behörden zur Rechenschaft<br />
gezogen ward, die nicht der Bürgerschaft, sondern einer innerhalb der Bürgerschaft<br />
gebildeten Assoziation vorstanden, und daß er gezwungen ward, statt an die Bürgerschaft,<br />
an eben diese Assoziation zu appellieren. Dies war ursprünglich ohne<br />
Frage Lynchjustiz; aber die Selbsthilfe vollzog sich wohl von jeher in Form Rechtens<br />
und wurde seit der gesetzlichen Anerkennung des Volkstribunats als rechtlich<br />
statthaft betrachtet.<br />
Der Absicht nach war diese neue Gerichtsbarkeit der Tribune und der Ädilen<br />
und die daraus hervorgehende Provokationsentscheidung der Plebejerversamm-<br />
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