Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Zweites ... - nubuk.com
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76 KAPITEL 4. STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT, DIE KELTEN<br />
die militärische, in der die Bande der Disziplin dem einzelnen die schwere Mühe<br />
abnehmen, sich selber zu bezwingen. “Die hervorstehenden Eigenschaften der<br />
keltischen Rasse”, sagt ihr Geschichtschreiber Thierry, “sind die persönliche Tapferkeit,<br />
in der sie es allen Völkern zuvortun; ein freier, stürmischer, jedem Eindruck<br />
zugänglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die äußerste Beweglichkeit, Mangel<br />
an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung, Prahlsucht und ewige<br />
Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit.” Kürzer sagt ungefähr dasselbe<br />
der alte Cato: “auf zwei Dinge geben die Kelten viel: auf das Fechten und auf<br />
den Esprit” 3 . Solche Eigenschaften guter Soldaten und schlechter Bürger erklären<br />
die geschichtliche Tatsache, daß die Kelten alle Staaten erschüttert und keinen gegründet<br />
haben. Überall finden wir sie bereit zu wandern, das heißt zu marschieren;<br />
dem Grundstück die bewegliche Habe vorziehend, allem anderen aber das Gold;<br />
das Waffenwerk betreibend als geordnetes Raubwesen oder gar als Handwerk um<br />
Lohn und allerdings mit solchem Erfolge, daß selbst der römische Geschichtschreiber<br />
Sallustius im Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Römern zugesteht. Es<br />
sind die rechten Lanzknechte des Altertums, wie die Bilder und Beschreibungen sie<br />
uns darstellen: große, nicht sehnige Körper, mit zottigem Haupthaar und langem<br />
Schnauzbart – recht im Gegensatz zu Griechen und Römern, die das Haupt und<br />
die Oberlippe schoren –, in bunten gestickten Gewändern, die beim Kampf nicht<br />
selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals, unbehelmt und<br />
ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafür mit ungeheurem Schild nebst dem langen<br />
schlechtgestählten Schwert, dem Dolch und der Lanze, alle diese Waffen mit Gold<br />
geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu bearbeiten verstanden. Zum<br />
Renommieren dient alles, selbst die Wunde, die oft nachträglich erweitert wird, um<br />
mit der breiteren Schmarre zu prunken. Gewöhnlich fechten sie zu Fuß, einzelne<br />
Schwärme aber auch zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene<br />
Knappen folgen; Streitwagen finden sich früh wie bei den Libyern und den Hellenen<br />
in ältester Zeit. Mancher Zug erinnert an das Ritterwesen des Mittelalters;<br />
am meisten die den Römern und Griechen fremde Sitte des Zweikampfes. Nicht<br />
bloß im Kriege pflegten sie den einzelnen Feind, nachdem sie ihn zuvor mit Worten<br />
und Gebärden verhöhnt hatten, zum Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten<br />
sie gegeneinander in glänzender Rüstung auf Leben und Tod. Daß die Zechgelage<br />
hernach nicht fehlten, versteht sich. So führten sie unter eigener oder fremder Fahne<br />
ein unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und Spanien bis nach Kleinasien<br />
zerstreute unter steten Kämpfen und sogenannten Heldentaten; aber was sie auch<br />
begannen, es zerrann wie der Schnee im Frühling, und nirgends ist ein großer Staat,<br />
nirgends eine eigene Kultur von ihnen geschaffen worden.<br />
3 Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem et argute loqui. (Cato or.<br />
frg. 2, 2).