Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Zweites ... - nubuk.com
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Gelagen sich anhängte, so hieß er ein Bummler.” Wer nun aber gar Tanz, Musik<br />
und Bänkelgesang für Geld betrieb, ward bei der immer mehr sich festsetzenden<br />
Bescholtenheit eines jeden durch Dienstverrichtungen gegen Entgelt gewonnenen<br />
Lebensunterhalts von einem zwiefachen Makel getroffen. Wenn daher das Mitwirken<br />
bei den landüblichen maskierten Charakterpossen als ein unschuldiger jugendlicher<br />
Mutwille betrachtet ward, so galt das Auftreten auf der öffentlichen Bühne<br />
für Geld und ohne Masken geradezu für schändlich, und der Sänger und Dichter<br />
stand dabei mit dem Seiltänzer und dem Hanswurst völlig in gleicher Reihe. Dergleichen<br />
Leute wurden durch die Sittenmeister regelmäßig für unfähig erklärt, in<br />
dem Bürgerheer zu dienen und in der Bürgerversammlung zu stimmen. Es wurde<br />
ferner nicht bloß, was allein schon bezeichnend genug ist, die Bühnendirektion<br />
betrachtet als zur Kompetenz der Stadtpolizei gehörig, sondern es ward auch der<br />
Polizei wahrscheinlich schon in dieser Zeit gegen die gewerbmäßigen Bühnenkünstler<br />
eine außerordentliche arbiträre Gewalt eingeräumt. Nicht allein hielten<br />
die Polizeiherren nach vollendeter Aufführung über sie Gericht, wobei der Wein<br />
für die geschickten Leute ebenso reichlich floß, wie für den Stümper die Prügel<br />
fielen, sondern es waren auch sämtliche städtische Beamte gesetzlich befugt, über<br />
jeden Schauspieler zu jeder Zeit und an jedem Orte körperliche Züchtigung und<br />
Einsperrung zu verhängen. Die notwendige Folge davon war, daß Tanz, Musik und<br />
Poesie, wenigstens soweit sie auf der öffentlichen Bühne sich zeigten, den niedrigsten<br />
Klassen der römischen Bürgerschaft und vor allem den Fremden in die Hände<br />
fielen; und wenn in dieser Zeit die Poesie dabei noch überhaupt eine zu geringe<br />
Rolle spielte, als daß fremde Künstler mit ihr sich beschäftigt hätten, so darf dagegen<br />
die Angabe, daß in Rom die gesamte sakrale und profane Musik wesentlich<br />
etruskisch, also die alte, einst offenbar hochgehaltene latinische Flötenkunst durch<br />
die fremdländische unterdrückt war, schon für diese Zeit gültig erachtet werden.<br />
Von einer poetischen Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele noch<br />
die Bühnenrezitationen können eigentlich feste Texte gehabt haben, sondern wurden<br />
je nach Bedürfnis regelmäßig von den Vortragenden selbst verfertigt. Von<br />
schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Zeit wußte man späterhin nichts aufzuzeigen<br />
als eine Art römischer “Werke und Tage”, eine Unterweisung des Bauern<br />
an seinen Sohn 2 , und die schon erwähnten pythagoreischen Gedichte des Appius<br />
Claudius, den ersten Anfang hellenisierender römischer Poesie. Übrig geblieben<br />
ist von den Dichtungen dieser Epoche nichts als eine und die andere Grabschrift<br />
2 Erhalten ist davon das Bruchstück:<br />
Bei trocknem Herbste, nassem – Frühling, wirst du, Knabe,<br />
Einernten große Spelte.<br />
Wir wissen freilich nicht, mit welchem Rechte dieses Gedicht späterhin als das älteste römische<br />
galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius p. 93 M; Serv. georg. 1, 101; Plin. nat. 17, 2, 14).