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Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Zweites ... - nubuk.com

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188 KAPITEL 8. RECHT, RELIGION, KRIEGSWESEN, . . .<br />

entgegengesetzte Richtung den vollen Stempel dieser großen Zeit. Es ist nur ein<br />

einziger Mann hier zu nennen; aber in ihm ist auch der Fortschrittsgedanke gleichsam<br />

inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442 312; Konsul 447, 458 307, 296), der<br />

Ururenkel des Dezemvirs, war ein Mann von altem Adel und stolz auf die lange<br />

Reihe seiner Ahnen; aber dennoch ist er es gewesen, der die Beschränkung<br />

des vollen Gemeindebürgerrechts auf die ansässigen Leute gesprengt, der das alte<br />

Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius Claudius datieren nicht bloß die römischen<br />

Wasserleitungen und Chausseen, sondern auch die römische Jurisprudenz,<br />

Eloquenz, Poesie und Grammatik – die Veröffentlichung eines Klagspiegels, aufgezeichnete<br />

Reden und pythagoreische Sprüche, selbst Neuerungen in der Orthographie<br />

werden ihm beigelegt. Man darf ihn darum noch nicht unbedingt einen<br />

Demokraten nennen, noch ihn jener Oppositionspartei beizählen, die in Manius<br />

Curius ihren Vertreter fand; in ihm war vielmehr der Geist der alten und neuen<br />

patrizischen Könige mächtig, der Geist der Tarquinier und der Caesaren, zwischen<br />

denen er in dem fünfhundertjährigen Interregnum außerordentlicher Taten und gewöhnlicher<br />

Männer die Verbindung macht. Solange Appius Claudius an dem öffentlichen<br />

Leben tätigen Anteil nahm, trat er in seiner Amtsführung wie in seinem<br />

Lebenswandel, keck und ungezogen wie ein Athener, nach rechts wie nach links<br />

hin Gesetzen und Gebräuchen entgegen; bis dann, nachdem er längst von der politischen<br />

Bühne abgetreten war, der blinde Greis wie aus dem Grabe wiederkehrend,<br />

in der entscheidenden Stunde den König Pyrrhos im Senate überwand und Roms<br />

vollendete Herrschaft über Italien zuerst förmlich und feierlich aussprach. Aber der<br />

geniale Mann kam zu früh oder zu spät; die Götter blendeten ihn wegen seiner unzeitigen<br />

Weisheit. Nicht das Genie des einzelnen herrschte in Rom und durch Rom<br />

in Italien, sondern der eine unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat<br />

fortgepflanzte politische Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die senatorischen<br />

Knaben sich hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Väter mit zum Rate<br />

gingen und an der Tür des Saales der Weisheit derjenigen Männer lauschten, auf<br />

deren Stühlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen. So wurden ungeheure Erfolge<br />

um ungeheuren Preis erreicht; denn auch der Nike folgt ihre Nemesis. Im römischen<br />

Gemeinwesen kommt es auf keinen Menschen besonders an, weder auf den<br />

Soldaten noch auf den Feldherrn, und unter der starren sittlich-polizeilichen Zucht<br />

wird jede Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt. Rom ist groß geworden<br />

wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine Größe teuer bezahlt mit<br />

der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der bequemen Läßlichkeit, der<br />

innerlichen Freiheit des hellenischen Lebens.

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