Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Zweites ... - nubuk.com
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208 KAPITEL 9. KUNST UND WISSENSCHAFT<br />
des Werkes. Die etruskische Kunst kann nicht nachbilden, ohne zu übertreiben: das<br />
Strenge wird ihr hart, das Anmutige weichlich, das Schreckliche zum Scheusal, die<br />
Üppigkeit zur Zote, und immer deutlicher tritt dies hervor, je mehr die ursprüngliche<br />
Anregung zurücktritt und die etruskische Kunst sich auf sich selber angewiesen<br />
findet. Noch auffallender ist das Festhalten an den hergebrachten Formen<br />
und dem hergebrachten Stil. Sei es, daß die anfängliche freundlichere Berührung<br />
mit Etrurien hier den Hellenen den Samen der Kunst auszustreuen gestattete, eine<br />
spätere Epoche der Feindseligkeit aber den jüngeren Entwicklungsstadien der griechischen<br />
Kunst den Eingang in Etrurien erschwerte, sei es, was wahrscheinlicher<br />
ist, daß die rasch eintretende geistige Erstarrung der Nation die Hauptsache dabei<br />
tat: die Kunst blieb in Etrurien auf der primitiven Stufe, auf welcher sie bei ihrem<br />
ersten Eindringen daselbst sich befunden hatte, wesentlich stehen – bekanntlich ist<br />
dies die Ursache gewesen; weshalb die etruskische Kunst, die unentwickelt gebliebene<br />
Tochter der hellenischen, solange als deren Mutter gegolten hat. Mehr noch<br />
als das strenge Festhalten des einmal überlieferten Stils in den älteren Kunstzweigen<br />
beweist die unverhältnismäßig elende Behandlung der später aufgekommenen,<br />
namentlich der Bildhauerei in Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf<br />
Münzen, wie rasch aus der etruskischen Kunst der Geist entwich. Ebenso belehrend<br />
sind die gemalten Gefäße, die in den jüngeren etruskischen Grabstätten in so<br />
ungeheurer Anzahl sich finden. Wären dieselben so früh wie die mit Umrissen verzierten<br />
Metallplatten oder die bemalten Terrakotten bei den Etruskern gangbar geworden,<br />
so würde man ohne Zweifel auch sie in Menge und in wenigstens relativer<br />
Güte dort fabrizieren gelernt haben; aber in der Epoche, in welcher dieser Luxus<br />
emporkam, mißlang die selbsttätige Reproduktion vollständig, wie die vereinzelten<br />
mit etruskischen Inschriften versehenen Gefäße beweisen, und man begnügte sich<br />
darum, dieselben zu kaufen, statt sie zu formen.<br />
Aber auch innerhalb Etruriens erscheint ein weiterer bemerkenswerter Gegensatzinder<br />
künstlerischen Entwicklung der südlichen und der nördlichen Landschaft.<br />
Es ist Südetrurien, hauptsächlich die Bezirke von Caere, Tarquinii, Volci,<br />
die die gewaltigen Prunkschätze besonders von Wandgemälden, Tempeldekorationen,<br />
Goldschmuck und gemalten Tongefäßen bewahren; das nördliche Etrurien<br />
steht weit dahinter zurück, und es hat zum Beispiel sich kein gemaltes Grab nördlich<br />
von Chiusi gefunden. Die südlichsten etruskischen Städte Veii, Caere, Tarquinii<br />
sind es, die der römischen Tradition als die Ur- und Hauptsitze der etruskischen<br />
Kunst gelten; die nördlichste Stadt Volaterrae, mit dem größten Gebiet unter allen<br />
etruskischen Gemeinden, steht von allen auch der Kunst am fernsten. Wenn in<br />
Südetrurien die griechische Halbkultur, so ist in Nordetrurien vielmehr die Unkultur<br />
zu Hause. Die Ursachen dieses bemerkenswerten Gegensatzes mögen teils in<br />
der verschiedenartigen, in Südetrurien wahrscheinlich stark mit nicht etruskischen<br />
Elementen gemischten Nationalität, teils in der verschiedenen Mächtigkeit des hel-