Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Zweites ... - nubuk.com
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200 KAPITEL 9. KUNST UND WISSENSCHAFT<br />
gen zu werden, gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschläge<br />
und Gutachten ab und entwickelten so im Schoß ihres Kollegiums die Tradition,<br />
die dem römischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die Formeln der rechten<br />
Klage für jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel, der all diese Klagen zusammenfaßte,<br />
nebst einem Kalender, der die Gerichtstage angab, wurde um 450 (300) von<br />
Appius Claudius oder von dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk bekanntgemacht.<br />
Indes dieser Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewußte Wissenschaft zu<br />
formulieren, steht für lange Zeit gänzlich vereinzelt da. Daß die Kunde des Rechtes<br />
und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war, dem Volk sich zu empfehlen<br />
und zu Staatsämtern zu gelangen, ist begreiflich, wenn auch die Erzählung, daß<br />
der erste plebejische Pontifex Publius Sempronius Sophus (Konsul 450 304) und<br />
der erste plebejische Oberpontifex Tiberius Coruncanius (Konsul 474 280) diese<br />
Priesterehren ihrer Rechtskenntnis verdankten, wohl eher Mutmaßung Späterer ist<br />
als Überlieferung.<br />
Daß die eigentliche Genesis der lateinischen und wohl auch der anderen italischen<br />
Sprachen vor diese Periode fällt und schon zu Anfang derselben die lateinische<br />
Sprache im wesentlichen fertig war, zeigen die freilich durch ihre halb mündliche<br />
Tradition stark modernisierten Bruchstücke der Zwölf Tafeln, welche wohl<br />
eine Anzahl veralteter Wörter und schroffer Verbindungen, namentlich infolge der<br />
Weglassung des unbestimmten Subjekts, aber doch keineswegs, wie das Arvalied,<br />
wesentliche Schwierigkeiten des Verständnisses darbieten und weit mehr mit der<br />
Sprache Catos als mit der der alten Litaneien übereinkommen. Wenn die Römer<br />
im Anfang des siebenten Jahrhunderts Mühe hatten, Urkunden des fünften zu verstehen,<br />
so kam dies ohne Zweifel nur daher, daß es damals in Rom noch keine eigentliche<br />
Forschung, am wenigsten eine Urkundenforschung gab. Dagegen wird in<br />
dieser Zeit der beginnenden Rechtweisung und Gesetzesredaktion auch der römische<br />
Geschäftsstil zuerst sich festgestellt haben, welcher, wenigstens in seiner entwickelten<br />
Gestalt, an feststehenden Formeln und Wendungen, endloser Aufzählung<br />
der Einzelheiten und langatmigen Perioden der heutigen englischen Gerichtssprache<br />
nichts nachgibt und sich dem Eingeweihten durch Schärfe und Bestimmtheit<br />
empfiehlt, während der Laie je nach Art und Laune mit Ehrfurcht, Ungeduld oder<br />
Ärger nichtsverstehend zuhört. Ferner begann in dieser Epoche die rationelle Behandlung<br />
der einheimischen Sprachen. Um den Anfang derselben drohte, wie wir<br />
sahen, das sabellische wie das latinische Idiom sich zu barbarisieren und griff die<br />
Verschleifung der Endungen, die Verdumpfung der Vokale und der feineren Konsonanten<br />
ähnlich um sich wie im fünften und sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung<br />
innerhalb der romanischen Sprachen. Hiergegen trat aber eine Reaktion ein:<br />
im Oskischen werden die zusammengefallenen Laute d und r, im Lateinischen die<br />
zusammengefallenen Laute g und k wieder geschieden und jeder mit seinem eigenen<br />
Zeichen versehen; o und u, für die es im oskischen Alphabet von Haus aus an