Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Zweites ... - nubuk.com
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36 KAPITEL 2. DAS VOLKSTRIBUNAT UND DIE DEZEMVIRN<br />
gel durchschlagen werde, selbst in diesen Wogen der Leidenschaftlichkeit und der<br />
Schwäche; allein er irrte. Der Adel erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer<br />
traten auf seine Seite; der gemeine Mann war mißvergnügt, weil Spurius Cassius,<br />
wie Bundesrecht und Billigkeit geboten, auch den latinischen Eidgenossen bei der<br />
Assignation ihr Teil geben wollte. Cassius mußte sterben; es ist etwas Wahres in<br />
der Anklage, daß er königliche Gewalt sich angemaßt habe, denn freilich versuchte<br />
er gleich den Königen, gegen seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein<br />
Gesetz ging mit ihm ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den Reichen<br />
unaufhörlich vor Augen und wieder und wieder stand es auf gegen sie, bis<br />
unter den Kämpfen darüber das Gemeinwesen zugrunde ging.<br />
Da ward noch ein Versuch gemacht, die tribunizische Gewalt dadurch zu beseitigen,<br />
daß man dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem geregelteren<br />
und wirksameren Wege sicherte. Der Volkstribun Gaius Terentilius Arsa beantragte<br />
im Jahr 292 (462) die Ernennung einer Kommission von fünf Männern zur Entwerfung<br />
eines gemeinen Landrechts, an das die Konsuln künftighin in ihrer richterlichen<br />
Gewalt gebunden sein sollten. Aber der Senat weigerte sich, diesem Vorschlag<br />
seine Sanktion zu geben, und es vergingen zehn Jahre, ehe derselbe zur Ausführung<br />
kam – Jahre des heißesten Ständekampfes, welche überdies vielfach bewegt<br />
waren durch Kriege und innere Unruhen; mit gleicher Hartnäckigkeit hinderte die<br />
Adelspartei die Zulassung des Gesetzes im Senat und ernannte die Gemeinde wieder<br />
und wieder dieselben Männer zu Tribunen. Man versuchte durch andere Konzessionen<br />
den Angriff zu beseitigen: im Jahre 297 (457) ward die Vermehrung<br />
der Tribune von vier auf zehn bewilligt – freilich ein zweifelhafter Gewinn; im<br />
folgenden Jahre durch ein Icilisches Plebiszit, das aufgenommen ward unter die<br />
beschworenen Privilegien der Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain und unbewohnt,<br />
unter die ärmeren Bürger zu Bauplätzen erblichen Besitzes aufgeteilt.<br />
Die Gemeinde nahm, was ihr geboten ward, allein sie hörte nicht auf, das Landrecht<br />
zu fordern. Endlich im Jahre 300 (454) kam ein Vergleich zustande; der Senat<br />
gab in der Hauptsache nach. Die Abfassung des Landrechts wurde beschlossen; es<br />
sollten dazu außerordentlicher Weise zehn Männer von den Zenturien gewählt werden,<br />
welche zugleich als höchste Beamte anstatt der Konsuln zu fungieren hatten<br />
(decem viri consulari imperio legibus scribundis), und zu diesem Posten sollten<br />
nicht bloß Patrizier, sondern auch Plebejer wahlfähig sein. Diese wurden hier zum<br />
erstenmal, freilich nur für ein außerordentliches Amt, als wählbar bezeichnet. Es<br />
war dies ein großer Schritt vorwärts zu der vollen politischen Gleichberechtigung,<br />
und er war nicht zu teuer damit verkauft, daß das Volkstribunat aufgehoben, das<br />
Provokationsrecht für die Dauer des Dezemvirats suspendiert und die Zehnmänner<br />
nur verpflichtet wurden, die beschworenen Freiheiten der Gemeinde nicht anzutasten.<br />
Vorher indes wurde noch eine Gesandtschaft nach Griechenland geschickt<br />
um die Solonischen und andere griechische Gesetze heimzubringen, und erst nach