Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Zweites ... - nubuk.com
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194 KAPITEL 9. KUNST UND WISSENSCHAFT<br />
der Berichte über den Feldzug vom Jahre 456 (298) in den Jahrbüchern und auf<br />
der Grabschrift des Konsuls Scipio 4 . Die späteren Historiker waren augenscheinlich<br />
außerstande, aus diesen Stadtbuchnotizen einen lesbaren und einigermaßen<br />
zusammenhängenden Bericht zu gestalten; und auch wir würden, selbst wenn uns<br />
das Stadtbuch noch in seiner ursprünglichen Fassung vorläge, schwerlich daraus<br />
die <strong>Geschichte</strong> der Zeit pragmatisch zu schreiben vermögen. Indes gab es solche<br />
Stadtchroniken nicht bloß in Rom, sondern jede latinische Stadt hat wie ihre Pontifices,<br />
so auch ihre Annalen besessen, wie dies aus einzelnen Notizen zum Beispiel<br />
für Ardea, Ameria, Interamna am Nar deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit<br />
dieser Stadtchroniken hätte vielleicht sich etwas Ähnliches erreichen lassen, wie<br />
es für das frühere Mittelalter durch die Vergleichung der verschiedenen Klosterchroniken<br />
erreicht worden ist. Leider hat man in Rom späterhin es vorgezogen, die<br />
Lücke vielmehr durch hellenische oder hellenisierende Lüge zu füllen.<br />
Außer diesen freilich dürftig angelegten und unsicher gehandhabten offiziellen<br />
Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten und vergangenen Ereignisse<br />
können in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen vorgekommen sein, welche<br />
der römischen <strong>Geschichte</strong> unmittelbar gedient hätten. Von Privatchroniken findet<br />
sich keine Spur. Nur ließ man sich in den vornehmen Häusern es angelegen sein,<br />
die auch rechtlich so wichtigen Geschlechtstafeln festzustellen und den Stammbaum<br />
zu bleibendem Gedächtnis auf die Wand des Hausflurs zu malen. An diesen<br />
Listen, die wenigstens auch die Ämter nannten, fand nicht bloß die Familientradition<br />
einen Halt, sondern es knüpften sich hieran auch wohl früh biographische<br />
Aufzeichnungen. Die Gedächtnisreden, welche in Rom bei keiner vornehmen Leiche<br />
fehlen durften und regelmäßig von dem nächsten Verwandten des Verstorbenen<br />
gehalten wurden, bestanden wesentlich nicht bloß in der Aufzählung der Tugenden<br />
und Würden des Toten, sondern auch in der Aufzählung der Taten und Tugenden<br />
seiner Ahnen; und so gingen auch sie wohl schon in frühester Zeit traditionell<br />
von einer Generation auf die andere über. Manche wertvolle Nachricht mochte<br />
hierdurch erhalten, freilich auch manche dreiste Verdrehung und Fälschung in die<br />
Überlieferung eingeführt werden.<br />
Aber wie die Anfänge der wirklichen Geschichtschreibung gehören ebenfalls<br />
in diese Zeit die Anfänge der Aufzeichnung und konventionellen Entstellung der<br />
Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafür waren natürlich dieselben wie überall. Einzelne<br />
Namen, wie die der Könige Numa, Ancus, Tullus, denen die Geschlechtsnamen<br />
wohl erst später zugeteilt worden sind, und einzelne Tatsachen, wie die Besiegung<br />
der Latiner durch König Tarquinius und die Vertreibung des tarquinischen<br />
4 1, 470. Nach den Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein Kollege in Samnium und ist<br />
Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach der Grabschrift erobert Scipio zwei Städte in Samnium<br />
und ganz Lucanien.