Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
5 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
Philosophie unter anderen Perspektiven, unter anderen Bezeichnungen und nicht mit der von Kant<br />
vorgeschlagenen Systematik behandelt wurden. 8<br />
Die Philosophische Anthropologie bildet heute einen Teil der systematischen Philosophie. In<br />
Deutschland bezieht sich dieser Begriff in einem engeren Sinn meist auf eine philosophische Strömung,<br />
welche den Menschen in den Mittelpunkt des philosophischen Denkens stellt, speziell auf die<br />
Richtung von Max Scheler, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen u.a. Der Mensch ist ein Wesen mit Logos,<br />
mit Geist, mit Vernunft und reflektierendem Bewusstsein, und um diese Sonderstellung unter<br />
allen Lebewesen geht es in dieser Anthropologie.<br />
Philosophische Anthropologie kann auch als kritische Untersuchung der verborgenen anthropologischen<br />
Annahmen in den empirischen Humanwissenschaften verstanden werden, u.a. in der Psychologie,<br />
Pädagogik, Soziologie oder Medizin. Grundsätzlich erstreckt sich diese Perspektive auch auf<br />
die (ideologie-)kritische und biographische Interpretation der <strong>Menschenbilder</strong> einzelner Philosophen<br />
und philosophischer Richtungen. Ein selbstkritisches Motto hat Johann Gottlieb Fichte 1797 in seiner<br />
Wissenschaftslehre formuliert: „Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was für<br />
ein Mensch man ist“. 9<br />
Alwin Diemer hat einen Versuch unternommen, Philosophische Anthropologie unter systematischen<br />
Gesichtspunkten zu entwickeln, mit Unterscheidungs- und Bestimmungsmerkmalen, mit der Abgrenzung<br />
nach oben (Gott) und der Abgrenzung nach unten (Tierwelt). Seine Phänomenologie des Humanbereichs<br />
zählt viele Aspekte und Fragestellungen auf. Diemer betont die doppelte Funktion der<br />
<strong>Menschenbilder</strong> und erklärt: „Die Rede vom Bild impliziert zweierlei: einmal das Moment des Sekundären,<br />
das an Ab- und Ebenbild erinnert, zugleich aber auch das Moment des Primären: „Bild“ bedeutet<br />
dann zugleich Vor- und Leitbild. ... Diese Leitbilder fungieren, wenn die entsprechenden Metaphysiken<br />
bzw. Ideologien politisch-gesellschaftliche Macht besitzen, als entsprechende pädagogische<br />
Ideen.“ 10 – Zu dieser Aufklärung müsste sich die Philosophische Anthropologie erst mit der Psychologie,<br />
Pädagogik und Sozialwissenschaft verbinden und auch deren Forschungsmethoden akzeptieren.<br />
Auch Lutz Geldsetzer hat Ansätze einer Systematik dargestellt und die Anthropologie im Spannungsfeld<br />
zwischen Seelenlehre, Metaphysik des Geistes, philosophischer Wesensbestimmung, Geschichtsphilosophie<br />
und Historischer Anthropologie geschildert. Er favorisiert zwar eine relativ breite<br />
Sicht, doch bleiben auch hier die Beispiele und die Literaturhinweise auf die substantiellen empirischen<br />
Befunde der Humanwissenschaften eigentümlich selektiv. 11<br />
Philosophische Anthropologie ohne Bezug zu empirischen Humanwissenschaften?<br />
Von philosophischer Seite stammt eine Anzahl neuerer Einführungen in die Anthropologie. Sie sind<br />
oft geschichtlich orientiert und stützen sich auf bedeutende philosophische und theologische Quellen<br />
von Platon bis zu Scheler und Gehlen. 12 Statt den Menschen im Ganzen zu sehen, folgt hier die neuere<br />
Philosophische Anthropologie vielfach einem einseitig geistes- und kulturwissenschaftlichen Ansatz,<br />
ohne viel auf die anderen Humanwissenschaften zu achten. Vor diesem Hintergrund hat sich in<br />
Deutschland zwar eine Geistes- und Sozialphilosophie des Menschen, aber kaum eine empirische Kultur-<br />
und Sozialanthropologie entwickeln können. Diese unglückliche Spaltung wird gelegentlich auf<br />
Kant zurückgeführt – zu Unrecht wie zuvor dargelegt wurde. Kants Anthropologie führte gerade über<br />
die Grenzen der Philosophie hinaus zu einer Naturkunde und einer empirisch-deskriptiven Psychologie<br />
des Menschen. Trotz der Unterscheidung von pragmatischer und physiologischer Anthropologie<br />
strebte er ein umfassendes Bild des Menschen an. Dieses Vorbild hatte eine erstaunlich geringe Wirkung,<br />
und das von Kant entwickelte Programm wurde in der Folgezeit nicht aufgenommen, weder in<br />
der Philosophie noch in der Psychologie.<br />
Wer die Inhalte heutiger Einführungen und Textsammlungen betrachtet, kommt nicht umhin,<br />
große und systematische Lücken festzustellen. 13 Diese Defizite bestehen hinsichtlich der empirischen<br />
Persönlichkeits- und Sozialpsychologie des Menschen, der Psychoanalyse, Verhaltenswissenschaft<br />
und Kulturanthropologie. Den Menschen allein als ein Geistwesen zu begreifen, hat zur Folge, dass<br />
die Evolutionstheorie, die Genetik und Biologie des Menschen, die Primatenforschung und die heutige<br />
Hirnforschung mit ihren spannenden Befunden ausgeklammert werden. Es fehlen auch die einflussreichen<br />
<strong>Menschenbilder</strong> der Psychotherapeuten. Die genannten Themen sind zweifellos keine primären