Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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80 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
eigene Art, weniger bekannt als über die meisten Haustiere. Die Bonobos sind in ihrer Anatomie,<br />
durch den häufig aufrechten Gang und durch viele soziale Verhaltensweisen der Spezies Mensch noch<br />
ähnlicher als die Schimpansen. 4 Die Wissensdefizite haben u.a. den Grund, dass wichtige Verhaltensweisen<br />
im Zoo nur unzureichend untersucht werden können und schwierige, langjährige Freiland-<br />
Beobachtungen in Afrika oder zumindest in adäquaten Freilandkolonien erfordern.<br />
Schimpansen, als tierische Vettern des Menschen und als Zootiere, haben in der fachpsychologischen<br />
Forschung lange Zeit eine erstaunlich geringe Beachtung gefunden. Die Pionierarbeit zur Primatenforschung<br />
stammt von dem deutschen Psychologen Wolfgang Köhler mit seinen Intelligenzprüfungen<br />
an Anthropoiden (1913-1917 auf Teneriffa). Köhler wollte vor allem klären, ob die Schimpansen<br />
das Problem, eine zunächst unerreichbare Nahrung durch geeignete Hilfsmittel zu ergattern, durch<br />
Lernen nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum oder abstrakt durch Einsicht in die Gestalt der Beziehungen<br />
von Ziel, Hindernissen und Instrumenten lösten. Köhler vermutete ein einsichtiges Lernen,<br />
doch hätte die Beobachtungsmethodik noch verfeinert und experimentell kontrolliert weitergeführt<br />
werden müssen, was Köhler, später Ordinarius in Berlin, im Psychologischen Institut unweit des großen<br />
Berliner Zoos, leider nicht tat.<br />
Erst seit den 1970er Jahren hat sich das Interesse deutlich erhöht, vor allem aufgrund der Feldforschung<br />
von Jane Goodall am Gombe-Strom und von Frans de Waal und Jan van Hooff im Freiland-<br />
Zoo von Arnheim sowie einer zunehmenden Zahl von Primatologen in den USA und in Japan. Seit<br />
Köhler sind von deutschen Wissenschaftlern kaum Beiträge zur Verhaltensforschung von Schimpansen<br />
zu verzeichnen. Erst im Jahr 1997 wurde dafür – mit bemerkenswerter Verspätung – eine erste<br />
große Forschungseinrichtung gegründet, das Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in<br />
Leipzig. Welche Gründe könnte diese auffällige Verzögerung in Deutschland haben? Der verbreitete<br />
Widerstand gegen Darwins Lehre und die fundamentalistische Überzeugung von der absoluten Sonderstellung<br />
des mit einer Geistseele geschaffenen Menschen waren zweifellos lange abträglich für die<br />
Entstehung der Primatenforschung. Die Bücher von Primatologen geben viele Hinweise auf solche<br />
Vorurteile, sogar bei den Herausgebern wissenschaftlicher Zeitschriften.<br />
Das Sozialverhalten und die Fähigkeiten der Menschenaffen<br />
Bei Schimpansen und Bonobos wurden die meisten Entsprechungen zum menschlichen Sozialverhalten<br />
beobachtet: die intensive mimische und gestische Kommunikation von Gefühlen, Bedürfnissen<br />
(und Absichten?), das differenzierte Erziehungsverhalten der Mütter und die individuelle Anpassung<br />
in der sozialen Rangordnung im Clan, das Fürsorge- und Trostverhalten mit dem häufigen Groomen,<br />
d.h. der entspannenden sozialen Fellpflege. Das Repertoire umfasst auch das diplomatische Verhalten<br />
und die Bildung von sozialen Koalitionen bis hin zur Kriegsführung gegen benachbarte Clans. Es gibt<br />
Verhaltensunterschiede zwischen den beiden nahe verwandten Arten. Die Schimpansen sind stärker<br />
hierarchisch organisiert mit einem dominanten Alpha-Mann und häufigen Rivalitäten sowie Kämpfen<br />
an Reviergrenzen. Die Bonobos fallen durch die stärkere, oft dominierende Rolle bzw. das kollektive<br />
Regime der Frauen sowie allgemein durch die viel häufigere hetero- und homosexuelle Aktivität<br />
(Promiskuität) und – vielleicht deswegen – durch weniger Aggressivität auf. Küsse und Umarmungen,<br />
Groomen und Sex sind offensichtlich Mittel der Versöhnung, Befriedung und Konfliktlösung.<br />
Die Erfahrungen mit Bonobos und Schimpansen sprechen deutlich für die Fähigkeit zur Empathie,<br />
d.h. sich von der Befindlichkeit anderer – auch der Befindlichkeit von Menschen – anstecken zu<br />
lassen. Bemerkenswert ist das gelegentliche Vorkommen eines zielgerichteten Helfens, auch mit individuellem<br />
Risiko, u.a. für verletzte oder behinderte Mitglieder des Clans, auch für nicht verwandte<br />
Individuen oder vertraute Tierpfleger.<br />
„Wir werden mit Impulsen geboren, die uns zu anderen hinziehen und uns später im Leben dazu bringen,<br />
uns um sie zu kümmern. ... Wie alt diese Impulse sind, wird am Verhalten unserer Primatenverwandtschaft<br />
deutlich. ... Als eine Bonobofrau namens Kuni sah, wie ein Star gegen die Glasscheibe<br />
ihres Geheges im britischen Twycross-Zoo prallte, ging sie hin und nahm den benommenen Vogel auf<br />
und stellte ihn vorsichtig auf die Füße. Als er sich nicht bewegte, warf sie ihn ein bisschen hoch, aber<br />
der Vogel flatterte bloß. Mit dem Star in der Hand kletterte Kuni dann in den Wipfel des höchsten<br />
Baumes und klammerte die Beine um den Stamm, so dass sie beide Hände frei hatte. Vorsichtig entfaltete<br />
sie seine Flügel, nahm jeweils einen zwischen die Finger ihrer Hände und spreizte sie, dann