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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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233 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Schlussfolgerungen von dem Gebot Kants, den Religionsdingen, dem Aberglauben und allen Einschränkungen<br />

der Freiheit zu widerstehen? Dass ja die Freiheits- und Menschenrechte ein Bestandteil<br />

dieser als einseitig kritisierten Aufklärung sind, war völlig in den Hintergrund getreten.<br />

Horkheimer und Adorno ist es nicht gelungen, aus ihren Vorstellungen eine empirisch fruchtbare<br />

Leitkonzeption sozialwissenschaftlicher Forschung zu entwickeln. Die Theorie, in der oft die neomarxistische<br />

Überzeugung vom Primat des Gesellschaftlichen durchscheint, erhielt keine empirische<br />

Basis. Beide Autoren haben sich kaum dafür interessiert, ihre Interpretationen durch empirische Forschungsergebnisse<br />

zu stützen, sie hatten grundsätzliche Vorbehalte gegen Sozialpsychologie und statistisch<br />

belegte Sozialforschung. Aus ihrem philosophischen Ansatz konnten oder wollten sie diesen<br />

Weg nicht gehen, zumal sich Adorno in die Probleme und Missverständnisse des sog. Positivismusstreits<br />

über die angemessene Methodik der Sozialforschung verstrickt hatte. In seinem Stil der nüchternen<br />

Aufklärung hat Karl Popper die sozialphilosophisch-ideologische Position dieser Frankfurter<br />

Schule kritisiert.<br />

Als interessanter Kontrast zu Horkheimers und Adornos Gesellschaftstheorie bietet sich Erich<br />

Fromms nur wenige Jahre zuvor entstandenes Buch Escape from freedom an (siehe Kapteil 3). Während<br />

Erich Fromm eine zeitgemäße sozialpsychologisch akzentuierte Anthropologie entwickelte und<br />

mit dem Konzept der autoritären Persönlichkeit einen sozialwissenschaftlich außerordentlich einflussreichen<br />

Erklärungsversuch der faschistischen Gesellschaftsform schuf, verblieben Horkheimer und<br />

Adorno in einer pauschalen Gesellschafts- und Kulturkritik. Nur einer der erwähnten Essays bezieht<br />

sich auf eine empirische Studie, in der es um faschistische Propagandainhalte ging – in den USA.<br />

Erich Fromm, der Ende der 1930er Jahre, hauptsächlich durch Adorno, aus dem Institut gedrängt<br />

wurde, war nicht zu ersetzen, und die sozialwissenschaftliche Forschung des Instituts blieb deshalb<br />

Stückwerk.<br />

In der zeitlichen Distanz sind die Überspitzungen dieser Dialektik der Aufklärung deutlicher geworden<br />

und das pessimistische Pathos wirkt heute literarischer als es damals gemeint sein konnte.<br />

Weshalb Aufklärung unbedingt zur Herrschaft wird und nicht vor allem Reflexion sein kann, weshalb<br />

Aufklärung unbedingt in ihr Gegenteil umschlagen muss, bleibt ein Geheimnis der Dialektik oder des<br />

Mythos. Horkheimer und Adorno verwiesen auf den Mythos von Odysseus, denn sie meinten, hier das<br />

Prinzip zu erkennen: wenn der mythische Zugang zur Natur rational aufgeklärt wird, werde diese Naturbeherrschung<br />

als eine Vernunftherrschaft und als Positivismus zurückschlagen.<br />

Zweifellos gibt es den extrem unvernünftigen und unethischen Gebrauch der menschlichen Intelligenz<br />

und – auch deswegen – den grundsätzlichen Zweifel an einem einfachen Fortschrittsoptimismus.<br />

Die tiefen Sorgen über den verbreiteten technisch-wissenschaftlichen Rationalisierungs- und<br />

Machbarkeitswahn rechtfertigen aber noch nicht pauschale Thesen über eine unmenschliche Zerstörungskraft<br />

der radikalisierten Aufklärung. Der einseitige Gebrauch und der unvernünftige Missbrauch<br />

der menschlichen Intelligenz kann kein grundsätzliches Argument gegen den fortdauernden Prozess<br />

der Aufklärung oder die vernunftgemäße Verbreitung der Menschenrechte sein.<br />

Postmoderne<br />

Als Postmoderne wird eine vor allem von französischen Autoren wie Jean-François Lyotard ausgehende<br />

kulturkritische Strömung bezeichnet. Ursprünglich war der Begriff auf Kunst und Architektur<br />

gemünzt und wurde dann in den 1980er Jahren auf die Alltagskultur und auf das Verständnis der Gesellschaft<br />

erweitert. Jean-François Lyotard behauptete 1979 in seiner Schrift Das Postmoderne Wissen,<br />

dass es drei große „Erzählungen“ in der postindustriellen Welt gäbe: die Aufklärung, den Idealismus<br />

und den Historismus. Weder die Emanzipation des Individuums oder das Selbstbewusstsein des<br />

Geistes noch die Idee des Fortschritts zu einer humaneren Zukunft könnten eine einheitliche Orientierung<br />

geben. Wissenschaftliche Rationalität, politische Gerechtigkeitsvorstellungen und sittliches Handeln<br />

wären nicht konvergent, sondern müssten als unabhängige „Kulturen“ oder „Sprachspiele“ angesehen<br />

werden. Der Führungsanspruch der Vernunft wird abgelehnt und die Annahme eines autonomen,<br />

rational handelnden und einheitlichen Subjekts bestritten.<br />

Die Ablehnung totalitärer Wahrheitsansprüche von Religion und idealistischer Philosophie sowie<br />

die pluralistische Sichtweise schließen durchaus an die Tradition der Aufklärung an. Andererseits<br />

enthalten postmoderne Strömungen, nicht unbeeinflusst von Paul Feyerabends anarchistischer Wissenschaftstheorie<br />

(Kapitel 23), irrationale Züge und absichtliche Provokationen. Zwar werden die indivi-

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