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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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4 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

schaftliche Menschenbild typisch wurde. In der Anthropologie kann sich, wie bei Kant, die Philosophie<br />

mit der empirischen Psychologie und mit den anderen Humanwissenschaften treffen.<br />

Kants vorbildliches Programm der Anthropologie und Psychologie wird in den Lehrbüchern nur<br />

noch selten zitiert und wohl von Psychologen kaum noch gelesen. Die früher bestehende, teils hemmende,<br />

teils kreative Beziehung zwischen Psychologie und Philosophie besteht nicht mehr, ausgenommen<br />

einige Nebengebiete wie die Wissenschaftstheorie oder einzelne Aspekte der Kognitionswissenschaft.<br />

Die Beziehung zur Philosophischen Anthropologie ist dem Fach Psychologie fast völlig<br />

verloren gegangen.<br />

Anthropologie in der Gegenwart<br />

Anthropologie ist heute der Oberbegriff für alle vom Menschen handelnden Disziplinen mit den Teilgebieten<br />

der Philosophischen Anthropologie und der Theologischen Anthropologie sowie für alle empirischen<br />

Humanwissenschaften.<br />

Anthropologie als Naturkunde des Menschen befasst sich mit der Abstammung des Menschen,<br />

Humangenetik, Anlage und Umweltfaktoren, Wachstum und Konstitution, Demographie, Industrie-<br />

Anthropologie (Arbeitswissenschaft), forensische Aufgaben bei der biologischen Identifizierung von<br />

Menschen; die Biologische Anthropologie mit Ethologie und Soziobiologie, biologischer Entwicklung,<br />

Sexual- und Revierverhalten usw.; die Medizinische Anthropologie mit Gesundheit und Krankheit,<br />

psychologischen und soziokulturellen Bedingungen somatischer und psychischer Krankheiten, auch<br />

mit Leiden und Sterben.<br />

Kulturanthropologie (Ethnologie, Völkerkunde) betrachtet Kulturvarianten, Sprache und Symbole,<br />

Mythen und Religionen, Institutionen, Zivilisationsprozess; Sozialanthropologie wendet sich der<br />

Familie, den Unterschieden zwischen Geschlechtern, Rangordnung, Sozialgruppen, Sozialschichten<br />

und Berufen, Stadt- und Landbevölkerung zu. Historische Anthropologie weitet den Blick auf die<br />

Menschheitsgeschichte aus, auf die Archäologie und Paläoarchäologie, auf die historischen Bedingungen<br />

der kulturellen Veränderungen, Arbeitswelt und Technik sowie ihre Folgen für die gesellschaftliche<br />

Organisation und das soziale Verhalten.<br />

Aus diesen Stichworten wird deutlich, wie viele Disziplinen Humanwissenschaften sind, ohne<br />

dass die Aufzählung erschöpft ist. Auch die Erziehungswissenschaft und Sportwissenschaft, Kunstwissenschaft,<br />

Sprach- und Literaturwissenschaften, Geschichtswissenschaften, die Rechtswissenschaft<br />

und Teile der Wirtschaftwissenschaften könnten hier, zumindest in wichtigen Ausschnitten, genannt<br />

werden. Es ist typisch, dass in solchen herkömmlichen Übersichten häufig die empirische Psychologie,<br />

die Neurowissenschaften oder die Primatenforschung einfach übergangen werden.<br />

In Deutschland wird heute unter Anthropologie meist nur die biologische Lehre vom Menschen<br />

verstanden. 7 Der viel breitere Horizont der angloamerikanischen Anthropology einschließlich der<br />

empirischen Psychologie sowie Kultur- und Sozial-Anthropologie wird hier weder in den Universitätsinstituten<br />

und Prüfungsordnungen noch in repräsentativen Lehrbüchern erreicht.<br />

Die Neue Anthropologie, herausgegeben von Gadamer und Vogler (1972-1975) in sieben Bänden, gab<br />

erstmals ein breites Spektrum: zwei Bände Biologische Anthropologie, je ein Band Sozialanthropologie,<br />

Kulturanthropologie und Psychologische Anthropologie sowie zwei Bände Philosophische<br />

Anthropologie (insgesamt 82 Autoren). Eine durch viele neuere Perspektiven erweiterte und anschaulichere,<br />

aber weniger systematisch angelegte, dreibändige Publikation entstand aus dem Funkkolleg<br />

Der Mensch – Anthropologie Heute, von Schiefenhövel u.a. herausgegeben (1994). Eine das Gesamtgebiet<br />

der Anthropologie als Lehre vom Menschen umfassende und systematisch lehrende Darstellung<br />

gibt es heute weder in der deutschen noch in der angloamerikanischen Literatur. Kants Anthropologie<br />

wird zwar gelegentlich zitiert, sein Programm jedoch nicht aufgenommen. Die Anthropologie ist in<br />

einzelne akademische Fächer zersplittert, wobei in Deutschland noch die traditionelle Spaltung der<br />

Anthropologie mit der großen Distanz der geisteswissenschaftlichen zu den empirischen Fächern<br />

hemmend ist.<br />

Philosophische Anthropologie<br />

Kant war nicht der erste Philosoph, der über Anthropologie schrieb, doch ist aus der Philosophiegeschichte<br />

zu erkennen, dass diese Fragen in der griechischen, mittelalterlichen und früh-neuzeitlichen

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