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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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111 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

mit der Erwartung der Anpassung oder gar der Rückkehr der anderen christlichen Religionsgemeinschaften<br />

in die umfassende Kirche.<br />

Die speziellen Themen der Dogmatik sind oft schwierig und zwischen den Richtungen der Theologie<br />

umstritten, sie unterliegen – insbesondere die Bestimmung des Menschen – in mancher Hinsicht<br />

einem kontinuierlichen Wandel und bedürfen, angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und<br />

der Erfahrung von fortdauerndem Krieg und Genozid, weiterentwickelter theologischer Auslegungen.<br />

Auch die Fortschritte der Humanmedizin und der Naturwissenschaften sowie neue Erkenntnisse der<br />

Psychologie und Sozialwissenschaften verlangen in einigen Bereichen immer wieder Neubestimmungen<br />

der Positionen: Bioethik, pränatale Diagnostik, Stammzellenforschung, passive und aktive Sterbehilfe,<br />

Familienrecht usw. Der lebendige Glaube bzw. die in der Gegenwart stehende Kirche versuchen,<br />

die Entwicklung dialogisch zu beeinflussen und neue Wege zu erproben, andere scheinen sich eher auf<br />

eine grundsätzlich „wert-konservative“ Grundhaltung zurückzuziehen. – Diesen theologische Perspektiven<br />

weiter nachzugehen, übersteigt die Zuständigkeit des Verfassers und die Absichten dieses Kapitels.<br />

2<br />

Kritik am neuen Katechismus<br />

Die Veröffentlichung des Weltkatechismus 1993 fand als große Leistung breite Anerkennung, aber<br />

auch bittere Kritik: Die Bibelauslegung im Katechismus sei 50 Jahre hinter dem wissenschaftlichen<br />

Stand zurück. Noch sind Hans Küngs zornige Kommentare aus dem Jahr 1985 über das Wirken des<br />

Kurienkardinals Joseph Ratzinger in Erinnerung: Dessen Festhalten an der katholischen Orthodoxie,<br />

an Kirchenautorität und Doktrinen mache die moderne, auf die historisch-kritische Methode gestützte<br />

Auslegung der Dogmen und der früheren Konzilsbeschlüsse unmöglich. Küng nannte problematische<br />

Kirchendoktrinen wie die Erbsünde, die Lehre von Teufeln und persönlichen Schutzengeln, die Kirchenverfassung,<br />

den Gehorsam im kirchlichen Lehramt. Früher, so Küng, habe Ratzinger den Teufel<br />

vornehm übergangen und bezeichne ihn nun als „geheimnisvolle und aufs Ganze gesehen objektive<br />

personale Wirklichkeit“, d.h. nicht nur als Symbol für die Macht des Bösen. Die Protestantisierung der<br />

christlichen Glaubenslehre werde von Rom als Beginn der verderblichen Modernisierung aufgefasst<br />

und deswegen eine ökumenische Verständigung zurückgewiesen. Ratzinger bewerte hartnäckige<br />

Zweifel an einer Glaubenswahrheit als ein „Verbrechen gegen die Religion und Einheit der Kirche“.<br />

Der Fundamentaltheologe Hansjürgen Verweyen sah eine weitgehende Naivität gegenüber zeitgenössischer<br />

theologischer Diskussion, denn die Erkenntnisse der strengen historischen Bibelwissenschaft<br />

würden de facto ignoriert; er sei eine Zitatensammlung ohne Entfaltung der Probleme aus den<br />

Quellen heraus und enthalte Irrtümer und gravierende Fehlinterpretationen. Uta Ranke-Heinemann<br />

übte Kritik an der zunehmenden Marientheologie (Marianismus) und der deutlichen marianischen<br />

Evangelisation unter Berufung auf Maria als Mittlerin, trotz der im übrigen fortbestehenden Frauenfeindlichkeit.<br />

Sie nahm Anstoß am Aberglauben der römischen Orthodoxie, der sich in der Lehre vom<br />

Exorzismus ausdrückt. Auch andere kritische Theologen äußerten die große Sorge, dass dieser Katechismus<br />

als Kontrollinstrument benutzt werden könnte.<br />

Tatsächlich hatte Kardinal Schönborn, der Sekretär der Redaktionskommission, geäußert: „Wer<br />

in wichtigen Punkten des Glaubens nicht mit dem Glauben der Kirche übereinstimme“, müsse Stellung<br />

nehmen. Die Konsequenz könne auch sein, „Diesen Glauben kann ich nicht mehr teilen“, d.h.<br />

dieser Glaubensgemeinschaft nicht mehr anzugehören.<br />

Küng empörte sich über die unzureichende innerkirchliche Bewältigung der Fehlentwicklungen:<br />

der Fall Galilei, der Fall Teilhard de Chardin, die Indizierungen vieler der bedeutendsten Denker Europas,<br />

die Verurteilung der Menschenrechte durch den Vatikan, die Ablehnung von allem, was mit<br />

dem rationalistischen Geist der Aufklärung zu tun hat. Anlässlich der Wahl Joseph Ratzingers zum<br />

Papst erneuerte Küng seine Sorge, dass es einen noch größeren Rückschritt hinter den geistigen Aufbruch<br />

des Zweiten Vatikanischen Konzils (Vaticanum II von 1962-1965) geben könnte.<br />

Wenn Küng hartnäckig mehr Offenheit, Transparenz und Diskursbereitschaft verlangt, hat er<br />

vielleicht die mögliche Güterabwägung der Kurie zu wenig einbezogen. Es kann psychologische, religionspädagogische<br />

und strategische Motive geben, die Reinheit der Glaubenslehre bewahren zu wollen<br />

und die Kritik an den Dogmen zu verhindern. Gerade in der „protestantischen“ Haltung und in der<br />

liberalen und rationalistischen Theologie könnte aus Sicht der konservativen Kurie die größte Gefahr<br />

drohen, Relativismus und Pluralismus zu verursachen, letztlich den Schrecken des Atheismus herbei-

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