Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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152 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
zur Frage nach Gott überhaupt. Religionskriege, Massenvernichtung und Holocaust, das immerwährende<br />
und immense Leiden unschuldiger Menschen bilden ein fundamentales moralisches Problem<br />
und lassen weiterhin nach der Rechtfertigung Gottes fragen. Weshalb bleibt der Gott, der sonst Gebete<br />
erhören kann, gerade im großen Maßstab passiv? Der zugrunde liegende Widerspruch scheint für einen<br />
Gläubigen, der von der Zuwendung und Liebe Gottes überzeugt ist, unüberwindlich zu sein.<br />
Das Geschehen lassen des Bösen ist noch nicht einmal im Kontext des strafenden oder zornigen<br />
Gottes zu verstehen. Welchen Sinn kann es haben, die als potenziell sündig geschaffenen Menschen<br />
anschließend zur ewigen Verdammnis zu verurteilen? Der katholische Theologe Johann Baptist Metz<br />
schrieb: „Die Katastrophen des Jahrhunderts haben alles Welt- und Gottvertrauen zerstört, und noch<br />
nie in der Geschichte der Menschheit war Hiobs Frage so quälend – die Frage warum Gott die Vernichtung<br />
der europäischen Juden zugelassen hat und die ‚Fürsten der Welt’ gewähren ließ“.<br />
In der langen Geschichte des Denkens über die Theodizee wurden mehrere Aspekte unterschieden:<br />
die Entstehung des Bösen, die Geschichte der Entfremdung von Gott, das Unheil in der Geschichte<br />
seit dem Sündenfall, das Missverständnis des Wortes Allmacht, die Theologie des gnadenloszornigen<br />
Gottes, Liebe als das letzte Wort Gottes trotz Bestrafung und ewiger Verdammnis der Sünder.<br />
Auch die neueren Diskussionen scheinen letztlich zu dem Ergebnis zu kommen, dass es ein Mysterium<br />
des Glaubens bleibe bzw. ein rational nicht zu bewältigender Grundwiderspruch. Auch Hans<br />
Küng kann nur von einem verborgenen Sinn des Leidens sprechen, das durch Gott und durch das Leiden<br />
Jesu einen Sinn bekommen könnte. Für den Christen sei die volle Bewältigung nur im Geiste der<br />
Kreuzesnachfolge sinnvoll. Das Leiden und das Böse bildeten ein Rätsel, dem nur durch unbedingtes<br />
Vertrauen begegnet werden könnte. 3 Der evangelische Theologe Eberhard Jüngel mahnte: „Gott ist<br />
nicht notwendig für uns“, d.h. er ist für uns Menschen nicht eine Ergänzung der Welt nach unserem<br />
Maß, sondern die völlig freie, uns überraschende Gottheit. Der christliche Glaube sei kein Welterklärungsinstrument.<br />
Ähnlich wird im Islam behauptet, dass Gott sich allen Kategorien des menschlichen<br />
Denkens, auch der Kategorie der Vernünftigkeit, entzieht. Diese Deutung steht in auffälligem Kontrast<br />
zu den sonstigen, theologisch sehr genauen Erklärungen, was Gottes Wille und Ziele sind.<br />
In der biblischen Geschichte von Hiob wird drastisch erzählt wie diesem Frommen von Gott das<br />
Leiden in jeder nur auszudenkenden Art zugefügt wird. Diese Geschichte kann als Gleichnis für die<br />
Unvollkommenheit der Welt, für die nicht vollendete Schöpfung gelesen werden oder als eine Allegorie<br />
über Gewalt und Schicksal. Doch in diesem Fall hat Gott eingegriffen, er hat sogar das Leiden<br />
seines frommen Dieners Hiob, so berichtet die Bibel, wegen einer Wette mit dem gefallenen Engel<br />
und Gegenspieler Satan vorsätzlich verursacht. Diese erschreckende Geschichte nur als „Prüfung“ zu<br />
deuten, ist in moralischer Hinsicht ebenso fatal wie das – zunächst – unerbittliche Gebot an Abraham,<br />
seinen Sohn Isaak zu schlachten. Auch diese absolute Gehorsamkeits-Leistung kann theologisch und<br />
psychoanalytisch überhöht werden, bedingt sie doch zugleich den besonderen Pakt Gottes mit seinem<br />
auserwählten Volk.<br />
Gottes Schweigen<br />
Der ehemalige Jesuit und Orientwissenschaftler Jack Miles hat ein bemerkenswertes, eher literarisch<br />
interpretierendes als unmittelbar theologisches Buch über den Kernsatz des Alten Testaments geschrieben,<br />
der lautet: „Ich bin, der ich bin“. Diese Biographie Gottes hält sich an den Tanach, d.h. die<br />
ältere hebräische Anordnung der Chroniken, die sich von der christlichen Version unterscheidet. In der<br />
Abfolge der Texte erkennt Miles eine Entwicklung: Am Anfang steht die Schöpfung, es folgt der<br />
Übergang vom direkten Handeln zum Reden (durch die Propheten) und schließlich das Verstummen.<br />
Das Schlüsselereignis sei die moralisch unverständliche Wette mit dem Satan über Hiob gewesen.<br />
Dieses „Verebben“ Gottes und sein dem Menschen unverständliches Schweigen wird als eine zeitliche<br />
Entwicklung Gottes, zumindest als eine zunehmende Erfahrung Gottes mit den Menschengeschöpfen<br />
gedeutet. Die Menschen haben ihn vielleicht in sich aufgenommen oder es gibt andere Gründe, die<br />
wegen der partiellen Freiheit der Geschöpfe nicht allwissend vorherzusehen waren. 4 – Eine andere<br />
Erklärung wäre es natürlich, eine Überlagerung der verschiedenen Quellen des AT anzunehmen.<br />
Das Problem der Theodizee tritt nicht allein im Christentum auf, scheint jedoch in der jüdischen<br />
Tradition und im Islam weitaus seltener als eine rationale philosophische Kontroverse vertieft worden<br />
zu sein. Im europäischen Denken, auch in der Literatur, ist es dagegen ein Hauptthema in der Auseinandersetzung<br />
zwischen Dogma und kritischer Vernunft. Die Frage nach dem Sinn, angesichts der