Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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11 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
weise verlangt, doch ist es gewiss ein sehr langer Weg zu einer multikulturellen Welt und einem verbindenden<br />
Weltethos.<br />
Aufklärung<br />
Auch vor Kant gab es „moderne“ <strong>Menschenbilder</strong>. Vor zweieinhalb Jahrtausenden, bereits in den Anfängen<br />
des überlieferten griechischen Denkens lehrte Protagoras über den Menschen als Maß aller<br />
Dinge (und hielt nichts von den griechischen Göttern). Cicero schrieb über die Menschenwürde aller<br />
Menschen. Als Kant die Frage nach dem Menschen in den Mittelpunkt der Philosophie rückte und<br />
dazu einen empirischen Teil der Anthropologie entwarf, entsprach er der Idee der Aufklärung:<br />
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit<br />
ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet<br />
ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern<br />
der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere<br />
aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“<br />
(Was ist Aufklärung? 1784) 23<br />
Die Grundfragen nach Gott, unsterblicher Seele und freiem Willen<br />
Im Hinblick auf die Psychologische Anthropologie werden hier drei Kernthemen ausgewählt. Sie<br />
scheinen in der Philosophiegeschichte und in den <strong>Menschenbilder</strong>n zu dominieren. Diese drei Themen<br />
hängen, wie noch zu erläutern ist, untereinander zusammen: Die Fragen nach Gott, nach Unsterblichkeit<br />
der Seele und nach der Willensfreiheit des Menschen.<br />
Aus diesen Überzeugungen müssten sich, falls konsequent argumentiert wird, andere Aspekte des<br />
Menschenbildes ableiten lassen. Für Gottgläubige und für Atheisten werden sich in einer Anzahl<br />
nachgeordneter Fragen grundverschiedene Antworten ergeben, weil jeweils andere Erklärungen und<br />
Erwartungen existieren. Dies gilt nicht allein für das religiöse Leben im engeren Sinn oder die Vorstellungen<br />
vom Leben nach dem Tod, sondern für die Schöpfung und die Sonderstellung des Menschen,<br />
für die Sinngebung des Lebens und für die Letztbegründung der Ethik.<br />
Das ungelöste Problem, wie Gehirn und Bewusstsein zusammenhängen, und die Kontroverse<br />
über die Willensfreiheit des Menschen werden hier auch mit der Absicht geschildert, die philosophisch<br />
unüberwindlich erscheinenden Gegensätze und folglich den Pluralismus der <strong>Menschenbilder</strong> möglichst<br />
deutlich zu machen.<br />
Pluralismus als Folge der Aufklärung<br />
Kant behauptet, die Idee des sittlich vollkommenen Gottes und die menschliche Willensfreiheit wären<br />
notwendige Prinzipien, um das allgemeine Sittengesetz zu begründen. Dieses Fundament stammt jedoch<br />
nicht mehr aus einer religiösen Offenbarung, sondern aus der menschlichen Vernunft, die sich<br />
einheitliche Prinzipien des Denkens und Handelns schafft. Für Kant stand wahrscheinlich fest, dass<br />
die kritische Aufklärung allgemein zu dieser Einsicht führen müsste, letztlich auch zum Weltbürgertum<br />
und zum Weltfrieden. Die kritische Vernunft erkennt die Prinzipien und die praktische Vernunft<br />
vermag Wege aufzuzeigen.<br />
Diese Erwartungen haben sich in den zwei vergangenen Jahrhunderten keineswegs erfüllt. Außerdem<br />
wurden die Offenbarungsreligionen nicht generell von der Vernunftreligion abgelöst, sondern<br />
nur in einigen Bereichen erschüttert bzw. bei einer Minderheit so weit zweifelhaft, dass sie die Kirche<br />
verließen. Die neue philosophische Konzeption, Gott, unsterbliche Seele und freien Willen nicht als<br />
metaphysische Gewissheiten, sondern nur als in sich vernünftige Ideen zu postulieren, hat bisher nicht<br />
auf breiter Linie überzeugen können. Der Prozess der Aufklärung scheint über diese Konzeption Kants<br />
hinweg gegangen zu sein.<br />
Statt eine einheitliche Bestimmung des vernünftig denkenden Menschen zu akzeptieren, hat das<br />
kritische Weiterdenken alle philosophische und religiöse Einheitslehren dieser Art zutiefst kritisiert<br />
und ihren absoluten Anspruch aufgelöst. Als Folge des Programms der Aufklärung bietet sich ein offener<br />
Pluralismus der Weltanschauungen und <strong>Menschenbilder</strong> dar – in einer Vielfalt wie nie zuvor in<br />
der Geschichte. Die Andersdenkenden haben sich früher den kirchlichen und staatlichen Machtverhältnisse<br />
anpassen müssen, um Nachteilen oder der Verfolgung als Ketzer zu entgehen. Der heute