Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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198 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
22 Glauben und Vernunft<br />
Glauben und Vernunft<br />
Im Rundschreiben Fides et Ratio (Über das Verhältnis von Glauben und Vernunft) erklärte Papst Johannes<br />
Paul II., dass die Vernunft ohne Hilfe der Offenbarung auf Abwege gerate, sie verliere ihr letztes<br />
Ziel aus den Augen. Ohne Hilfe der Vernunft könne sich umgekehrt der Glauben nur mehr auf<br />
Gefühl und Erfahrung berufen, damit büße er seine Universalität ein. Die Weisheit des Kreuzes sei die<br />
Klippe, an der die philosophische Vernunft scheitern könne. Auch Papst Benedikt XVI. legte 2006 in<br />
seiner Regensburger Rede wie in seinen vorausgegangenen Schriften dar, dass Vernunft und religiöser<br />
Glauben zusammengehören und sich wechselseitig reinigen und heilen müssen, weil der Glauben<br />
sonst fundamentalistisch eng und die Vernunft materialistisch leer würden. Ein Leitmotiv im Denken<br />
des neuen Papstes ist, daran zu erinnern, dass im frühen Christentum versucht wurde, das Gottesbild<br />
und die Dogmen mit Begriffen der griechischen Philosophie, insbesondere Platons, auszudrücken. Der<br />
christliche Gott ist Logos, d.h. Wort, Vernunft, Sinn – als Urgrund der Welt, doch nicht unpersönlich<br />
wie in der griechischen Philosophie, sondern als Person, die zugleich Liebe ist. 1<br />
Interessant ist, dass Papst Benedikt XVI. nur eine theologisch passende Facette der griechischen<br />
Philosophie auswählte und andere große Anfänge der Geistesgeschichte ausließ: den sokratischen<br />
Zweifel an allem, auch an den Göttern, den Atheismus und Agnostizismus der Vorsokratiker, die aristotelische<br />
Naturphilosophie und den Grundgedanken der griechischen Demokratie, welche ja als wegweisend<br />
für eine pluralistische Weltsicht gelten kann. Mit dieser großen Tradition wurde auch die<br />
relative weltanschauliche Toleranz, die mit dem antiken Polytheismus oft verbunden war, durch die<br />
paulinische Christologie verschüttet. Als heidnisch galten außer wichtigen philosophischen Texten<br />
viele Quellen der Naturwissenschaften und der Literatur des frühen Griechenlands; sie wurden vernichtet.<br />
In dieser Theologie wird Logos ausschließlich als göttlicher Logos gedeutet, nicht als Logos des<br />
Geistes oder als Logos der menschlichen, skeptischen Vernunft. Die platonische Unterscheidung von<br />
Seins-Ebenen wurde zur fundamentalen Unterscheidung von Diesseits und Jenseits zugespitzt, so dass<br />
es zu einer Abwertung der realen Welt zugunsten der Heilserwartung im Jenseits kommen konnte.<br />
Dieser Dualismus hat bis heute einschneidende Konsequenzen für das christliche Menschenbild, u.a.<br />
für das Gehirn-Bewusstsein-Problem. Im Konflikt zwischen Luther und Papst war die Spannung zwischen<br />
„Glauben und Vernunft“ ein wichtiges Thema; allerdings war es noch nicht die Vernunftreligion<br />
Kants, sondern der Gegensatz zwischen der kirchlichen Autorität und dem mündigen Leser der Heiligen<br />
Schrift, der allein durch den Glauben, allein durch die Gnade, allein durch Christus existieren<br />
wollte. Die Reformation führte zur Kirchenspaltung, entmachtete dadurch die katholisch-umfassende<br />
Kirche und führte konsequent zur Pluralisierung des Christentums. 2 Auch der Bezug auf Kant in der<br />
Regensburger Rede des Papstes muss zwiespältig wirken, denn als Joseph Ratzinger Student war, gab<br />
es noch den Index des Heiligen Offiziums mit den verbotenen Büchern, auf dem Kants Hauptwerk<br />
stand.<br />
In welchem Verhältnis stehen Glauben und Vernunft zueinander? Sind es völlig verschiedene Denkwelten,<br />
die sich oft fundamental widersprechen, oder können sie sich zu einem Ganzen zusammenfügen?<br />
Wenn aber Glauben und Vernunft über einen konkreten Sachverhalt in Widerspruch geraten,<br />
welche Instanz kann dann den Vorrang beanspruchen, d.h. die größere Kraft alle zu überzeugen?<br />
Die Auffassung von den zwei Wissensquellen<br />
Die Unterscheidung von profanem und heiligem Wissen, dem der Alltagsmenschen und dem der Eingeweihten,<br />
durchzieht wohl alle Religionen. Die Unterscheidung zweier Erfahrungsquellen ist eine<br />
wiederkehrende Denkfigur, wenn es um den Kontrast von Vernunft und Glauben geht. Auch der Neurowissenschaftler<br />
Wolfgang Singer (Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften) versucht<br />
zu vermitteln, indem er von zwei Wissensquellen, der menschlichen Vernunft und der Offenbarung<br />
spricht, wobei die Wissenschaft stets nur begrenzte Einsicht liefern könne. Er meint, dass niemand