Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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203 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
nuel Kant hat die philosophischen Grenzen zu diesen Glaubensinhalten und Vernunftwidrigkeiten der<br />
Offenbarungsreligion gezogen.<br />
Doch nicht diese Dogmen sind gemeint, wenn hier von Vernunftbrüchen gesprochen wird. Weshalb<br />
greift Gott, nur wenigen Einzelfällen zuliebe, in das Geschehen ein und geht offensichtlich auf<br />
die allermeisten (nahezu alle?) Gebete der Notleidenden, Kranken, Verfolgten und vom Tod Bedrohten<br />
nicht ein? Der Hinweis auf den unerforschlichen Ratschluss Gottes oder auf die Grenzen der menschlichen<br />
Vernunft wäre hier keine beruhigende Antwort, denn dieses Faktum der Unbegreiflichkeit<br />
(Irrationalität) könnte doch zu leicht auf die gesamte systematische Theologie, also das Wissen und<br />
die Lehre von Gott, ausgedehnt werden. Die Vernunft muss sich hier dem „Geheimnis des Glaubens“<br />
und dem Dogma unterwerfen.<br />
Der außerweltliche Gott ist nicht an die universale Gültigkeit der physikalischen und der anderen Naturgesetze<br />
gebunden und kann diese tatsächlich außer Kraft setzen (Allmacht über die Schöpfung).<br />
Gott ist gütig, allmächtig, allwissend und dem einzelnen Menschen persönlich zugewandt, greift jedoch<br />
nicht ein, um allgemeines Elend, Krieg und Massenvernichtung zu verhindern (Theodizee-<br />
Problem).<br />
Gott erhört das persönliche Gebet des Einzelnen und hilft dann praktisch aus der Not, aber nur in sehr<br />
seltenen Fällen und aus unbekannten Gründen (die allermeisten Gebete hinsichtlich Krieg, Elend<br />
und Völkermord wurden offensichtlich nicht erhört).<br />
Diese Vernunftbrüche sind gefordert, wenn die Einheit von Logos und Gott behauptet wird.<br />
Das Fazit lautet: kritische Vernunft und religiöser Glauben, empirische Wissenschaft und Dogma, sind<br />
zwei unvereinbare Denksysteme. Mit der irreführenden Redewendung, Wissenschaft wäre auch nur<br />
eine Weltanschauung wie andere auch, kann dieser kategorialen Gegensatz nicht überbrückt werden.<br />
Ein in sich abgeschlossenes System von Überzeugungen (Dogma) steht einem grundsätzlich offenen,<br />
z.T. auch in Widersprüchen fortschreitenden System des prüfbaren, allgemeingültigen Wissens gegenüber.<br />
Der Wunsch nach einer Einheit beider ist verständlich, muss aber zu einer Verwirrung der Prinzipien<br />
und erneut zu einer hierarchischen Macht der theologischen Argumente gegenüber erfahrungswissenschaftlicher<br />
Erkenntnis und kritischer Vernunft führen.<br />
Diese Schlussfolgerungen werden direkten Widerspruch finden. Sie stützen sich zwar auf die herkömmlichen<br />
Glaubenssätze wie sie u.a. im Katechismus der Katholischen Kirche stehen, allerdings<br />
haben sich nicht wenige Theologen von den traditionellen Auslegungen mehr oder minder weit entfernt.<br />
Noch deutlicher werden in den protestantischen Kirchen viele Theologen und Gläubige ein anderes<br />
Verständnis ausdrücken. Gott wird vielfach nicht mehr als ein Gegenüber, als ein allmächtiges<br />
Wesen, das persönlich in die Welt hineinwirkt, begriffen, sondern als eine höchste Idee der Sinngebung,<br />
der Moral und der existentiellen Erfahrung. Für diese Auffassung steht u.a. die Theologie von<br />
Rudolf Bultmann. Außerdem sind die neueren Strömungen der negativen Theologie und der Prozesstheologie<br />
zu erwähnen (Kapitel 18).<br />
Wiederkehr der Religionen oder der Religiosität?<br />
In Leitartikeln, Akademieprogrammen und Talkshows geht es um die Wiederkehr der Religion. Es<br />
gebe ein verbreitetes Gefühl, dass bei dem andauernden Erosionsprozess der Kirchen etwas verloren<br />
gegangen sei. Trotz der weiterhin sinkenden Mitgliederzahl der Kirchen wird über die Aussichten<br />
einer möglichen Re-Christianisierung europäischer Länder geschrieben, der Gottesbezug in der Verfassung<br />
Europas und die Besinnung auf die christlichen Wurzeln werden gefordert. Durchaus zwiespältig,<br />
aber fasziniert wird gemeldet, jeder zweite Amerikaner sehe sich als wiedergeborenen Christen<br />
an, jeder dritte denke über das Ende der Welt nach, ein Amerikaner, der nicht an Gott glaube, könne<br />
keinesfalls Präsident (und vielleicht nicht einmal Gouverneur oder Abgeordneter) werden. Die Rückbesinnung<br />
auf das Christentum wurde für viele Redakteure großer deutscher Zeitungen ein persönliches<br />
Thema. Zugleich wird die Mischung von fundamentalistischer Religion und Politik im gegenwärtigen<br />
Amerika skeptisch kommentiert und von den islamischen Ländern eine strikte Trennung von