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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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135 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

17 Religion und Religiosität. Was ist repräsentativen Umfragen<br />

zu entnehmen?<br />

Religion – ein vieldeutiges Wort<br />

Religion wird verstanden als Rückbindung an etwas Höheres, eine spirituelle Welt, an eine höhere<br />

geistige Existenz – einen mächtigen und zugewandten Gott, als persönliches Gegenüber des Menschen.<br />

Religionspsychologen haben diese subjektive Seite zu beschreiben versucht. Die Religiosität<br />

und Spiritualität haben ihr Fundament im religiösen Erleben des Menschen. In dieser Urerfahrung des<br />

religiösen Gefühls würde auch die tiefe Abhängigkeit von Gott (Rückbindung, religio) bewusst. In der<br />

Ergriffenheit und Frömmigkeit des Gläubigen gibt es ein Faszinans, d.h. eine Anziehung durch das<br />

Heilige, und ein Tremendum, d.h. ein durch Erschrecken vor dem Göttlichen bedingtes Zurückziehen.<br />

Andere Gläubige empfinden heute vor allem die Zuwendung, mit dem unbedingten Vertrauen und der<br />

Liebe zu Gott, der Trost und Halt gibt. Im Unterschied zu dieser Reaktion auf ein göttliches Gegenüber<br />

haben christliche, muslimische, indische und ostasiatische Mystiker verschiedener Zeiten das tiefe<br />

und unaussprechliche Erleben einer transpersonalen Einheit im Gotteserleben, in der mystischen Einheit<br />

von Mensch und Gott (unio mystica) betont.<br />

Viele Religionspsychologen und Religionsphilosophen im Westen haben ihre Definitionen so<br />

verallgemeinert, als ob diese für jede Kultur und jede Religion gelten. „Jede Religion impliziert die<br />

Existenz höherer, vom Menschen unabhängiger, wie auch immer gearteter oder vorgestellter Wesenheiten,<br />

Intelligenzen, Geister, Dämonen, Götter, Engel – bis zu dem einen Gott der monotheistischen<br />

Religionen.“ 1 Religion ist „die höchste Form einer Bindung des menschlichen Selbstbewusstseins an<br />

eine übergeordnete personelle Instanz, die nicht mehr ein Nachbar im Sein ist und demgemäß weder<br />

wahrgenommen noch logisch durch so genannte Gottesbeweise gesichert, sondern allein durch den<br />

Glauben erreicht werden kann.“ 2 „Religion ist die im Erkennen, Denken, Fühlen, Wollen und Handeln<br />

bestätigte Überzeugung von der Wirksamkeit persönlicher und unpersönlicher transzendenter Mächte“.<br />

3 Religion ist das Bewusstsein und Gefühl „schlechthinniger Abhängigkeit“ des Menschen wie es<br />

der Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher 1799 in seiner Rede zur Religion, An die Gebildeten<br />

unter ihren Verächtern, nannte.<br />

Ist vielleicht das Phänomen des Heiligen das nicht-reduzierbare Innerste jeder Religion und deshalb<br />

der gemeinsame Nenner aller Religionen? Unterscheiden sich die Religionen grundsätzlich durch die<br />

Anerkennung des Heiligen von allen innerweltlichen Ideologien ohne Transzendenzbezug? Angesichts<br />

der Vielfalt der Religionen ist es erstaunlich, wie einseitig und eng die von Europäern verfasste Religionsphänomenologie<br />

ist. Diese Begriffe eignen sich noch nicht einmal für den Pantheismus: Das<br />

absolute Sein Gottes ist mit der Welt identisch.<br />

Die christlich-europäische Sicht von Religion mit der Annahme eines einzigen Schöpfergottes<br />

passt nicht auf den polytheistischen Hinduismus, noch weniger auf den chinesischen Daoismus oder<br />

Konfuzianismus. Wo weder ein Gott noch eine unsterbliche Seele geglaubt werden, wie im Theravada-Buddhismus<br />

oder Zen, muss Religion zweifellos anders definiert werden. Als im Parlament der<br />

Weltreligionen über die Erklärung zum Weltethos beraten wurde, mussten die sich zum Christentum<br />

bekennenden Delegierten akzeptieren, dass die Erklärung keinen Bezug auf Gott oder ein göttliches<br />

Wesen enthält (Kapitel 19). Wie kann der Begriff so weit gefasst werden, dass all diese Überzeugungen<br />

eingeschlossen sind? Die Religionen enthalten:<br />

Ä die Konzeption eines übernatürlichen Seins, einer übernatürlichen Kraft oder Macht (Transzendenzbezug);<br />

Ä die Überzeugung, dass dieses Übernatürliche aktiv ist, d.h. die Ereignisse auf der Erde beeinflusst;<br />

Ä ein kulturelles Muster des Verhaltens zum Absoluten, zum Heiligen im Unterschied zum Profanen;

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