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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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97 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

13 In vielen Ländern und Kulturen zu Hause, Menschen wie wir<br />

Die interkulturelle und kosmopolitische Perspektive<br />

Die interkulturelle Sicht hat schon zu Kants Zeit interessiert. Er sprach vom Weltbürgertum und von<br />

einem internationalen Gerichtshof, und viele seiner Zeitgenossen glaubten an solche Fortschritte der<br />

Menschheit. Das Wissen nahm schnell zu: durch Entdeckungsreisen, durch Welthandel, Eroberungen<br />

und Kolonisation. Die Öffnung für fremde Kulturen hat viele Motive, nicht nur ökonomische und<br />

machtpolitische Gründe. Man war neugierig, fremde Völker und Sitten kennen zu lernen, zunehmend<br />

auch ihre Religion, Kunst und Literatur, und die Relikte früher Hochkulturen.<br />

Es wurden kosmopolitische Ideen vorgetragen, zunächst utopisch und dann als Programm von<br />

engagierten Personen und Vereinen, wie einmal ein friedliches, die Welt umspannendes System für<br />

Handel, Politik und Rechtswesen entstehen könnte. Erst aus den Katastrophen der beiden Weltkriege<br />

erwuchs die Bereitschaft aller Regierungen, über das Völkerrecht und den ersten Völkerbund hinaus,<br />

mit den Vereinten Nationen eine wirklich einflussreiche Institution zu schaffen. Die Charta der UNO<br />

zeigt, dass es sich nicht allein um die internationale Verpflichtung zur friedlichen Koexistenz handelt,<br />

sondern um die Festlegung gemeinsamer ethischer Prinzipien. Die Deklaration der allgemeinen Menschenrechte<br />

war ein fundamentaler Fortschritt, weil erstmals eine aus vernünftiger Überlegung stammende<br />

Ethik weltweit vereinbart wurde, jenseits der politischen Ideologien und religiösen Glaubenslehren.<br />

Diese Menschenrechte sind nicht, wie im christlich-westlichen Denken die Regel, letztlich nur<br />

in Gott begründet, sondern in der aufgeklärten Übereinstimmung der Menschen.<br />

Die Deklaration der Menschenrechte wird einen wachsenden Einfluss auf das Menschenbild der<br />

einzelnen Bürger und auf die interkulturellen Beziehungen haben. Inzwischen hat ein Weltparlament<br />

der Religionen den Aufruf zu einem neuen Weltethos hervorgebracht, das sogar von Nicht-Religiösen<br />

in den meisten Grundzügen akzeptiert werden könnte. Die vieldiskutierte Globalisierung hat viele und<br />

sicher auch negative Auswirkungen im sog. Neo-Kapitalismus und ökonomischen Kolonialismus,<br />

doch es gibt auch das Bemühen um ein Weltethos und neue Formen der Kooperation, des multikulturelles<br />

Lernens und Verstehens.<br />

Kultur und Persönlichkeit<br />

Die frühen Eroberer und Entdeckungsreisenden waren nicht nur an den Reichtümern jener Länder<br />

interessiert, sondern auch an der Andersartigkeit der Menschen. Sie waren vom fremden Aussehen<br />

und der anderen Sitten beeindruckt und stellten sich – zumindest in den Anfängen – nicht selten die<br />

Frage, ob diese Wesen wirklich als Menschen mit einer Seele und Vernunft oder vielleicht als andersartige<br />

Naturwesen anzusehen wären. Die christliche Mission konnte sich erst ausbreiten, nachdem die<br />

Frage nach der Seele der Heiden positiv beantwortet war.<br />

Kultur und Persönlichkeit war ursprünglich vor allem das Thema der amerikanischen, vergleichenden<br />

Kulturanthropologie. Dagegen wurde die akademische Psychologie zwar als eine universelle<br />

Wissenschaft verstanden, befasste sich aber praktisch nur mit der Psychologie des Menschen in der<br />

westlichen Kultur. Erst in der Gegenwart wachsen die Kulturanthropologie und die Kulturpsychologie<br />

zusammen und finden in der modernen interkulturellen Forschung zu gemeinsamen Konzepten und<br />

Methoden. Entweder steht das kulturelle System mit den Traditionen von Sprache, Religion, Sitten<br />

und Kunst im Mittelpunkt oder die gesellschaftlichen Strukturen und sozioökonomischen Lebensbedingungen<br />

oder, drittens, die Formung der individuellen Persönlichkeit. Der prägende Einfluss von<br />

Kultur und Gesellschaft auf den Menschen ist das gemeinsame Leitmotiv. Die Tendenz, mit eigenen<br />

Maßstäben zu messen und die anderen Kulturen nur aus dem eigenen Menschenbild zu sehen, blieb<br />

jedoch oft bestehen. Ethnozentrismus in der Kulturanthropologie und Kulturpsychologie heißt hier,<br />

dass die im Westen entwickelten Forschungsmethoden und Theorien zur Psychoanalyse, Sozial- und<br />

Persönlichkeitspsychologie immer noch zu unkritisch übertragen werden. Sich mit Kulturanthropologie<br />

und Kulturpsychologie zu beschäftigen, könnte helfen, die Grenzen des eurozentrischen Denkens<br />

zu sehen und die Idee des modernen Pluralismus zu fördern. Die Einheit der Menschheit ist ein ab-

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