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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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117 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

15 Die Angst und das Leiden überwinden, ohne Illusion über ein Ich,<br />

aber im Mitleid mit allen fühlenden Wesen – [und ein Exkurs zum<br />

chinesischen Menschenbild]<br />

Die folgenden Exkurse zum Buddhismus, zum chinesischen Universalismus und zum Islam sind nur<br />

Skizzen der mit diesen Religionen verbundenen <strong>Menschenbilder</strong>. Die Darstellung setzt jeweils andere<br />

Schwerpunkte: beim Buddhismus die psychologische Verinnerlichung und die Aufgabe jeder Metaphysik<br />

von Gott und Seele, bei der chinesischen Weltanschauung die multikulturell entstandene Tradition<br />

mit den Vorstellungen von Harmonie und allgemein geltenden Menschenpflichten, und beim konservativen<br />

Islam den strengem Monotheismus und das Problem der allgemeinen Menschenrechte.<br />

Buddhistisches Menschenbild<br />

Der Buddhismus bietet den größten Kontrast zum Christentum: Eine Religion ohne Gott und unsterbliche<br />

Seele, eine Erlösungsreligion ohne Erlöser, ohne jenseitige Instanz, sondern mit der einzigen<br />

Zuflucht in der Lehre zur Selbstbefreiung von Angst und Leiden. Diese Lehre wurde von Siddhattha<br />

Gotama (Sanskrit: Siddhartha Gautama), dem Buddha, d.h. dem Erwachten, in seiner meditativen<br />

Selbsterfahrung und psychologischen Selbstanalyse entwickelt. Die ursprüngliche Lehre hat sich im<br />

Theravada-Buddhismus in Südostasien am besten erhalten. Später haben sich die buddhistischen Auffassungen<br />

in vielen Ländern mit der Volksreligion und anderen Traditionen zu neuen Religionsformen<br />

verbunden, und der tibetische, chinesische und japanische Buddhismus haben das westliche Bild vom<br />

Buddhismus stark beeinflusst. Diese Vielfalt kann den Zugang erschweren – ähnlich könnte es einem<br />

Außenstehenden angesichts des Spektrums christlicher Kirchen und Gemeinschaften und angesichts<br />

der traditionellen Volksreligion und Marienverehrung in den christlichen Ländern gehen.<br />

Die Annahmen über den Menschen, die in Indien, in einem anderen Kulturkreis und lange vor<br />

dem griechischen und dem jüdisch-christlichen Denken entwickelt wurden, widersprechen schroff<br />

vielen der in der Theologie und Philosophie Europas geltenden Selbstverständlichkeiten.<br />

Buddhas Lehre wurde jahrhundertelang durch Rezitation überliefert, bevor sie aufgeschrieben<br />

wurden. Zwei Reden ragen aus der Sammlung hervor. In der Rede von Benares hat Gotama den Kern<br />

seiner Lehre verkündet. Damit wurde „das Rad der Lehre in Bewegung gesetzt“ (nach der Überlieferung<br />

im Jahr 531 vor Christus). Die Rede über Sattipatthana, die Grundlagen der Achtsamkeit, enthält<br />

die genausten Anleitungen zur Meditation, wobei Atemübungen, introspektive Betrachtungen und<br />

Selbstanalysen eng verbunden sind. 1<br />

Die Rede von Benares<br />

„Der Vollendete, ihr Mönche, der Heilige, vollkommen Erwachte hat zu Benares, am Sehersteine, im<br />

Wildpark das höchste Reich der Wahrheit dargestellt; und dagegenstellen kann sich kein Asket und<br />

kein Priester, kein Gott, kein böser und kein heiliger Geist, noch irgendwer in der Welt; es ist das<br />

Anzeigen, Aufweisen, Darlegen, Darstellen, Enthüllen, Entwickeln, Offenbarmachen der vier heiligen<br />

Wahrheiten. Welcher vier? Der heiligen Wahrheit vom Leiden, der heiligen Wahrheit von der Leidensentwicklung,<br />

der heiligen Wahrheit von der Leidensauflösung, der heiligen Wahrheit von dem zur<br />

Leidensauflösung führenden Pfade.“ –<br />

(Sariputto setzte Gotamas Rede fort): „Was ist aber, Brüder, die heilige Wahrheit vom Leiden?<br />

Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Sterben ist Leiden, Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung<br />

sind Leiden, was man begehrt und nicht erlangen kann, das ist Leiden, kurz gesagt, die fünf<br />

Stücke des Anhangens sind Leiden. ...<br />

Was ist aber, Brüder, die heilige Wahrheit von der Leidensentwicklung? Es ist dieser Durst, der<br />

Wiederdasein säende, vergnügensgierverbundene, bald da bald dort sich befriedigende, ist der Geschlechtsdurst,<br />

der Daseinsdurst, der Wohlseinsdurst. Das heißt man, Brüder, heilige Wahrheit von<br />

der Leidensentwicklung. ...

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