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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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55 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

8 <strong>Menschenbilder</strong> als Forschungsthemen der empirischen Psychologie<br />

Die psychologische Perspektive<br />

In der Einleitung wurden einige der von Alwin Diemer zusammengestellten, entweder sehr allgemeinen<br />

oder einseitigen, aber in ihrer Weise typischen Bestimmungen des Menschen zitiert. Was könnte<br />

darüber hinaus von einer empirischen Psychologie der <strong>Menschenbilder</strong> erwartet werden? Müsste nicht<br />

die Psychologie zu einer fortschreitenden empirischen Klärung und zu einem vertieften Verständnis<br />

dessen führen, was der Mensch ist? Oder taugt die Psychologie nur dazu, die Vielfalt der <strong>Menschenbilder</strong><br />

zu beschreiben, also ein pluralistisches Nebeneinander aufzuzeigen und die persönlichen Überzeugungen<br />

dementsprechend zu relativieren?<br />

Im ersten Schritt sollte die systematische Beschreibung verschiedener <strong>Menschenbilder</strong> geleistet<br />

werden. Dazu müsste eine weite Sicht gehören, d.h. mehr als der europäisch-westliche oder der sogar<br />

nur auf die nordamerikanischen Verhältnisse verengte Blick. Des Weiteren gehörte dazu, besonders<br />

geeignete Untersuchungsmethoden zu entwickeln: schrittweise vertiefende Forschungs-Interviews<br />

sowie Umfragen mittels Fragebogen bis zu repräsentativen Erhebungen. Wie verbreitet sind bestimmte<br />

Auffassungen und wie einflussreich? Inwieweit sind in den vielfältigen <strong>Menschenbilder</strong>n einige gemeinsame<br />

Grundzüge (Invarianten), d.h. allgemeine Bestimmungen des Menschen, zu erkennen und<br />

wie lassen sich diese am besten erfassen und strukturieren? Welche typischen Muster von Überzeugungen<br />

können unterschieden werden, und welche sind in der Bevölkerung oder in bestimmten Berufsgruppen<br />

am häufigsten zu finden?<br />

Schwieriger wäre die entwicklungspsychologische Forschung: Wie entstehen solche unterschiedlichen<br />

<strong>Menschenbilder</strong>, wie werden sie durch Erziehung und Lebenserfahrung geprägt? Welche übergreifenden<br />

Traditionen, welche weltanschaulichen, politischen und sozialen Einflüsse wirken sich aus?<br />

Ein wichtiges biographisches Untersuchungsthema ist der Erwerb religiöser und ideologischer Überzeugungen.<br />

Dass der religiöse Glauben nicht primär vorhanden ist, lehrt der Vergleich mit den ungläubig<br />

Aufgewachsenen. Wie werden religiöse Überzeugungen durch das Elternhaus und – mit staatlicher<br />

Unterstützung – in Kindergärten und Schulen vermittelt oder im Verlauf eigenen Nachdenkens<br />

aufgebaut oder verändert? In der Religionspädagogik sind es wichtige Fragen, wie die Empfänglichkeit<br />

für den Glauben und für Glaubensinhalte gesteigert und wie Gefühle des unbedingten Vertrauens,<br />

von Hoffnung und Trostbedürfnis, von moralischer Verpflichtung und Angstbewältigung in religiöser<br />

Weise zu orientierten sind. Wie nachhaltige religiöse Überzeugungen entstehen, ist auch wissenswert,<br />

falls, sozusagen in umgekehrter Richtung, ein Abbau übermächtig gewordener Ideen, von Versündigungs-,<br />

Straf- oder Weltuntergangs-Phantasien notwendig erscheint oder wenn Psychotherapeuten<br />

ehemaligen Mitgliedern fundamentalistischer Kirchen und Sekten durch eine Dekonditionierung zu<br />

helfen versuchen.<br />

Wie kommt es, dass sich solche Grundüberzeugungen oder das Interesse an Sinnfragen im Laufe<br />

des Lebens ändern, bei einigen Menschen als neuer Aufbruch, als Krise und als religiöse Wendung, als<br />

Bekehrung oder Konversion dramatisch eintreten? Weshalb interessieren sich andere Menschen in<br />

keiner Weise für solche Themen oder Sinnfragen?<br />

Noch anspruchsvoller wäre es, die tatsächlichen Auswirkungen der individuellen <strong>Menschenbilder</strong><br />

auf die Theorienbildung, auf die Methodenwahl und insbesondere auf die Routine der Berufspraxis zu<br />

prüfen. Besonders interessante Personengruppen wären hier die Psychologen, Pädagogen, Philosophen,<br />

Soziologen, Ärzte und andere Humanwissenschaftler. Sind solche Effekte nachweisbar oder<br />

geschieht die alltägliche Praxis auf einer viel allgemeineren Ebene, für die solche Grundüberzeugungen<br />

unwesentlich sind? Methodisch ist diese Aufgabe deswegen so schwierig, weil ein Vergleich zwischen<br />

Gruppen von Personen, die unterschiedliche Auffassungen repräsentieren, unternommen werden<br />

muss. Eindeutige Aussagen setzen voraus, dass sich diese Gruppen nicht in einer anderen Weise so<br />

unterscheiden, dass die wichtigsten Einflüsse nicht mehr auseinander zu halten sind. Außerdem genügt<br />

es sicher nicht, die Implikationen und möglichen Konsequenzen nur abstrakt zu erfragen, sondern<br />

diese müssen bei konkreten Aufgaben in den realen beruflichen Entscheidungssituationen untersucht<br />

werden.

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