Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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240 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
25 Annahmen über den Menschen – Überzeugungen und ihre<br />
Konsequenzen<br />
Im letzten Kapitel werden zwei Leitmotive des Buches aufgenommen und zu einem Ausblick in<br />
pragmatischer und in konstruktiver Hinsicht geformt. <strong>Menschenbilder</strong> sind durch viele Lebenserfahrungen<br />
und durch einige Grund-Überzeugungen strukturiert. Inwieweit prägen diese abstrakten Überzeugungen<br />
auch das Handeln des Einzelnen? Zwar werden viele dieser <strong>Menschenbilder</strong> in wichtigen<br />
Zügen übereinstimmen, doch gibt es Grund-Überzeugungen, die nicht miteinander vereinbar sind.<br />
Solche unlösbar erscheinenden Gegensätze spitzen sich vor allem bei den drei Themen Gottesglauben,<br />
Gehirn-Bewusstsein und Willensfreiheit zu. Welche Denkmöglichkeiten gibt es, solche Gegensätze<br />
nicht nur zu tolerieren, sondern vielleicht zu überwinden?<br />
Die Psychologie der <strong>Menschenbilder</strong> könnte über das philosophische oder essayistische Interesse hinaus<br />
ein spannendes Forschungsgebiet sein. Doch bisher existieren solche empirischen Studien kaum,<br />
und kritische Untersuchungen darüber, was aus den unterschiedlichen <strong>Menschenbilder</strong>n für die Wissenschaft<br />
und die Praxis folgen könnte, sind unüblich.<br />
Diese pragmatische Fragestellung regt zu empirischen Untersuchungen an. Demgegenüber führt<br />
die Suche nach Denkmöglichkeiten jenseits der starren Gegensätze und Ausschließlichkeitsansprüche<br />
auf philosophisches Gebiet. Aus psychologischer Sicht wurden zuvor die Perspektiven-Übernahme<br />
und die Duldung der Mehrdeutigkeit als toleranzfördernde Denkstile hervorgehoben. Philosophisch ist<br />
nach Konstruktionen zu suchen, welche einige der Gegensätze überwinden könnten. Beide Perspektiven,<br />
auf die pragmatischen Konsequenzen des Menschenbildes und auf die philosophischkonstruktiven<br />
Denkmöglichkeiten, bilden den Ausblick dieses Buches.<br />
Überzeugungen und praktisches Tun<br />
Wenn nach dem Zusammenhang von Reden und Tun gefragt wird, ist das moralische Verhalten ein<br />
interessantes Gebiet. Weshalb kommt es zu den Widersprüchen zwischen geäußerter Überzeugung<br />
und Handeln, die im Alltag so häufig zu beobachten sind, nicht nur bei anderen Menschen, sondern<br />
auch in der selbstkritischen Reflexion? Dieses Einstellungs-Verhaltens-Problem hat sich als sehr<br />
schwieriges sozialpsychologisches Thema herausgestellt, denn es lassen sich keine einfachen Erklärungen<br />
vorweisen, weshalb die geäußerten ethischen Normen und das tatsächliche Verhalten so oft<br />
divergieren. Im Rückblick kann die handelnde Person viele Motive und psychologische Bedingungen<br />
nennen, weshalb es zu diesen Abweichungen kam: konkurrierende Motive, Erwartungen in einer bestimmten<br />
Situation, verantwortliches Abwägen aller vorstellbaren Konsequenzen der Handlung.<br />
In anderen Situationen oder bei anderen Menschen besteht dagegen eine erstaunliche Konsequenz<br />
und Geschlossenheit von Einstellung und Verhalten, z.B. für humanistische, religiöse oder politische<br />
Ziele einzutreten, ohne Rücksicht auf anderweitige Folgen. Der Soziologe Max Weber hat dann<br />
von einer konsequenten „Gesinnungsethik“ gesprochen. – Das Thema ist zu umfangreich, um hier<br />
weiter ausgeführt werden zu können. Diese Hinweise können nur andeuten, wie kompliziert empirische<br />
Untersuchungen wären. Unterscheidet sich das alltägliche moralische Verhalten von religiösen<br />
und nicht-religiösen Menschen? Kann von einer Person mit stark ausgeprägter Kirchlichkeit grundsätzlich<br />
erwartetet werden, dass sie ethische Normen konsequenter befolgt? Neigen Richter, die von<br />
der generellen Freiheit des Willens überzeugt sind, zu strengeren Strafen als Richter, die nur an eine<br />
oft eingeschränkte Handlungsfreiheit des Täters glauben? – Solche Untersuchungen wären schnell in<br />
schwierige Definitionen von Begriffen und Kriterien verwickelt.<br />
Nur ein kleines Beispiel der möglichen Untersuchungsansätze kann hier geschildert werden. Haben<br />
einzelne philosophische Annahmen über den Menschen, u.a. über Gehirn und Bewusstsein, über den<br />
freien Willen, nachweisbare Konsequenzen für die Berufspraxis und Forschung?