Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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1 Annäherung an die Frage: Was ist der Mensch?<br />
1. Was kann ich wissen?<br />
2. Was soll ich tun?<br />
3. Was darf ich hoffen?<br />
4. Was ist der Mensch?<br />
Die erste Frage beantwortet die Metaphysik, die zweite die Moral, die dritte die Religion, und die vierte<br />
die Anthropologie. Im Grunde könnte man aber alles dieses zur Anthropologie rechnen, weil sich<br />
die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen. (Immanuel Kant, 1800). 1<br />
Diese Grundfragen sind von nachdenklichen Menschen aller Zeiten gestellt worden. So steht auch im<br />
Welt-Katechismus der Katholischen Kirche: „Woher kommen wir?“, „wohin gehen wir?“ „woher<br />
stammen wir?“, „wozu sind wir da?“, „woher kommt alles, was da ist und wohin ist es unterwegs?“<br />
Für Christen lassen sich die beiden Fragen, die nach dem Ursprung und nach dem Ziel, nicht voneinander<br />
trennen. Beide finden ihre Antwort in Gott, der den Sinn und die Ausrichtung des Lebens und<br />
Handelns bestimmt.<br />
In der Frage nach dem „Sinn des Lebens“ werden all diese Aspekte zusammengefasst. Im täglichen<br />
Leben bewegen uns solche Grundfragen selten; sie bleiben im Hintergrund, treten jedoch in<br />
wichtigen Lebensphasen hervor: beim Übergang ins Erwachsenenalter, vielleicht in der mittleren und<br />
äußerlich gesicherten Lebensphase oder beim Ende der Berufstätigkeit und im Alter. Auch angesichts<br />
von Naturkatastrophen und vielfältigem menschlichen Elend drängen sich diese Sinnfragen auf. Viele<br />
Menschen erleben dann eine neue Nachdenklichkeit, vielleicht auch Krisen, und überlegen, was in<br />
ihrem Leben wirklich wichtig ist. In Autobiographien wird oft berichtet, dass auch schwere Krankheiten<br />
zu solchem Nachdenken und zur grundsätzlichen Reflexion führen: Wer bin ich überhaupt? Woher<br />
komme ich und wohin gehe ich? Was soll ich tun?<br />
Kants Fragen sind unvermindert aktuell und werden oft zitiert. Die Anthropologie, die Lehre vom<br />
Menschen, umfasst alles, was wir über den Menschen wissen und denken, über uns selbst und über<br />
den Menschen im allgemeinen. Wie weit können uns überhaupt Vernunft und Wissenschaft tragen?<br />
Können wir auch erkennen, welche Ziele, welchen Sinn unser Leben hat, das Woher und Wohin unserer<br />
eigenen Existenz, und schließlich die Zukunft der menschlichen Gesellschaft? Der Mensch muss<br />
begreifen, so lehrt Kant, welche Quellen das menschliche Wissen hat und wie dieses Wissen nützlich<br />
gebraucht werden kann. Das Nötigste und Schwerste sei es jedoch, die Grenzen der Vernunft zu erkennen.<br />
Als Kant dies – am Ende seines Lebens – schrieb, hatte er diese Grenzen gezogen und damit<br />
das Feld der menschenmöglichen Wissenschaft bestimmt. Diese Vernunftkritik und die entsprechende<br />
Sicht der Wissenschaft und ihrer Grundbegriffe machen bis heute seinen philosophischen Ruhm aus.<br />
Der Mensch und dessen Vernunft werden von Kant in den Mittelpunkt der Philosophie gerückt<br />
(und nicht die Offenbarung Gottes und das ewige Heil, die Metaphysik oder die Erkenntnis der letzten<br />
Dinge). Wer seinen Gedanken folgt, begreift, dass alle Aussagen über die unsterbliche Seele und über<br />
Gott jenseits dieser Grenze liegen und Themen des persönlichen Glaubens bleiben. Die Vernunft selber,<br />
so behauptet Kant, schaffe sich, um eine Einheit des Denkens und des Handelns herzustellen, das<br />
Ideal des höchsten Wesens und des absolut verpflichtenden Moralgesetzes in uns.<br />
Kants vier große Lebensfragen machen neugierig auf seine Antworten. Welches Menschenbild<br />
hatte Kant? Vor allem für psychologisch Interessierte ist es anziehend, wenn der Mensch so zur<br />
Hauptfrage der Philosophie wird, wie es zuvor nicht geschah.