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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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45 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

früheren Konfrontation mit einer Umwelt, als Mitglied einer Art und als Individuum in den Zustand<br />

gelangt ist, in dem er sich befindet.“ 4<br />

Skinners Prognose scheint genau das zu treffen, was heute von vielen Neurowissenschaftlern behauptet<br />

wird und erneut zu öffentlichen Kontroversen führte:<br />

„Ein entscheidender Schritt kann dann stattfinden: Was instrospektiv gefühlt oder gesehen wird, ist<br />

nur ein kleiner und relativ unbedeutender Teil dessen, was die Physiologie schließlich entdecken wird.<br />

Es ist insbesondere nicht das System, das die Beziehung zwischen einem Verhalten und einer Umwelt<br />

vermittelt, die durch eine Verhaltensanalyse experimentell aufgedeckt wird.“ 5<br />

Das individuelle Verhalten hat natürlich eine neurophysiologische Grundlage im Gehirn, doch die<br />

behavioristischen Analysen finden auf einer anderen Ebene statt. Ein Verhaltenswissenschaftler hat,<br />

im Unterschied zum Neurowissenschaftler, statt physiologischer Messungen oder Eingriffe nur die<br />

Möglichkeit, das Verhalten direkt zu beobachten. Die Gesetze dieses Lernens sollen wissenschaftlich<br />

objektiv erforscht werden.<br />

Viele unserer alltäglichen Verhaltensweisen sind durch elementare Lernprozesse bedingt: durch<br />

Lernen am Erfolg, durch Lernen an den Konsequenzen des eigenen Verhaltens, einzelne Gewohnheiten<br />

durch Reiz-Reaktionskonditionierung (wie Pawlow in seinen berühmten Lernversuchen mit Hunden<br />

gezeigt hatte). Können wir akzeptieren, dass einige Prinzipien der Lerntheorie für Menschen<br />

ebenso wie für viele andere Spezies einheitlich gelten? Oder steht der Mensch in seiner biologischen<br />

Evolution so unvergleichlich viel höher, dass kein einziger dieser tierexperimentellen Befunde übertragbar<br />

ist?<br />

Zu Skinners wissenschaftlichen Leistungen gehört die genaue Beschreibung des sog. operanten<br />

Lernens. Unter welchen Bedingungen werden bestimmte Verhaltensweisen gelernt und wie kann dieser<br />

Lernprozess verstärkt werden? Dies geschieht generell durch günstige Folgen des Lernens, d.h.<br />

materiell durch Bedürfnisbefriedigung bzw. Geld, immateriell durch verbales Lob und andere Anerkennungen.<br />

Wer die genauen Bedingungen der Verstärkung kennt, kann das Lernen optimieren, z.B.<br />

durch sofortige positive Rückmeldung u.a. Maßnahmen. Diese Forschung hat viel zur Entwicklung der<br />

modernen Verhaltenstherapie beigetragen.<br />

Kultur und soziale Interaktion als Verhaltenskontrolle<br />

Unter Kultur versteht Skinner nicht – wie üblich – ein System von tradierten Vorstellungen und Werten,<br />

sondern die konkreten Verhaltensweisen und „die Verstärker, die in diesem Zusammenhang auftreten,<br />

sind ihre 'Werte'.“ (Jenseits von Freiheit und Würde, 1973). 6<br />

„Die soziale Umwelt ist das, was wir als Kultur bezeichnen. Sie prägt und erhält das Verhalten jener,<br />

die in ihr Leben. Eine gegebene Kultur entwickelt sich, wenn, unter Umständen aus unbedeutenden<br />

Gründen, neue Praktiken entstehen, die einer Auslese unterworfen werden; diese Auslese richtet sich<br />

danach, was sie zur Stärke der Kultur beitragen, wenn diese mit der physischen Umwelt und mit anderen<br />

Kulturen 'konkurriert'.“ 7<br />

Er diskutiert die Parallelen zwischen biologischer und kultureller Evolution, Vererbung und Überlieferung.<br />

Im Unterschied zu den genetischen Anlagen ist das menschliche Verhalten weitaus stärker veränderbar<br />

und es kann nach verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen beeinflusst werden, um die<br />

Entwicklung der Kultur voranzubringen. Skinner verlangt ein radikales Umdenken von innen nach<br />

außen, d.h. statt unser Verhalten durch innere und freie Willensentscheidungen zu erklären, sollen wir<br />

die entscheidende Wirkung der Umgebungsreize erkennen. Mit Umgebung ist nicht allein die dingliche<br />

Umwelt gemeint, sondern vor allem das Verhalten der anderen Menschen. Unser eigenes Verhalten<br />

wirkt auf andere Menschen, und deren Verhaltensantwort steuert unsere Reaktionen. Dies meint<br />

Skinners Begriff der wechselseitigen Abhängigkeit bzw. Verhaltenskontrolle von Individuen (z.B.<br />

Kinder Ä Eltern, Schüler Ä Lehrer, demokratischer Kandidat Ä Wähler).

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