Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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Der Weg der Aufklärung<br />
19 Menschenwürde und Menschenrechte<br />
Menschenwürde<br />
„Die Würde des Menschen“ wird heute oft die Antwort lauten, wenn jemand gefragt wird, was den<br />
Menschen auszeichnet im Unterschied zu allen anderen Lebewesen. Der allererste, der nachweislich<br />
von allgemeiner Menschenwürde, dignitas humana, sprach, war Marcus Tullius Cicero (106-43<br />
v.u.Z.). 1 In der Menschenwürde, die in der Natur des Menschen liegt, sah er mehr als eine geistige<br />
Grundhaltung und mehr als soziales Ansehen, nämlich eine Teilhabe an der Weltvernunft. Mehr als<br />
zwei Jahrhunderte früher trug der Konfuzianer Mengzi ähnliche Ideen über die naturgegebene Eigenschaft<br />
der Menschlichkeit vor.<br />
Zur Zeit der Renaissance erschienen mehrere Bücher zum Thema Menschenwürde, am häufigsten<br />
zitiert wird Giovanni Pico della Mirandola, der „erste Aufklärer der Neuzeit“, vom Papst Innozenz<br />
VIII. als Häretiker verfolgt (posthum 1496, Oratio de hominis dignitate). Der Begriff Würde hat eine<br />
lange und vieldeutige Geschichte, als Würde der Götter, und davon abgeleitet als Würde der Könige,<br />
Fürsten und anderer Amtsträger. Schopenhauer hat mit scharfer Ironie die fragwürdigen Aspekte der<br />
Würde und der Ehre betrachtet, und Kant hat dargelegt, dass ein absoluter Wert, ohne jeden Bezug<br />
und Vergleich, unvernünftig bliebe. Wenn heute das Wort Menschenwürde so oft verwendet wird,<br />
sind neben juristischen auch philosophische und psychologische Erläuterungen unerlässlich.<br />
Naturrecht heißt, dass jeder Mensch mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet ist, primär mit<br />
dem Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit. Über den letzten Grund dieser natürlichen Rechte<br />
besteht keine Einigkeit: durch den allmächtigen Gott, durch den Logos als ein geistiges Weltprinzip,<br />
durch die Natur oder durch die Vernunft des Menschen. Dieses Naturrecht ist unveränderlich im Unterschied<br />
zu allen juristischen (positiven) Konventionen der menschlichen Gesetzgeber. Die Idee dieses<br />
allgemeingültigen, allen religiösen und kulturellen Besonderheiten vorgelagerten Naturrechts wurde<br />
vor allem im Zeitalter der Aufklärung entwickelt, u.a. durch Hugo Grotius, Samuel von Pufendorf<br />
und John Locke, und war eine Leitidee der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der französischen<br />
Revolution.<br />
In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 steht der berühmte Satz, der erstmals<br />
die Menschenrechte in einer Verfassung festlegte:<br />
„Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen<br />
sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu<br />
Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören ...“ 2<br />
Von dieser amerikanischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte angeregt, und in einigen Forderungen<br />
über diese hinausgehend, entstand 1789 die Erklärung der französischen Nationalversammlung,<br />
in der die „natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte des Menschen“ verkündet wurden.<br />
Der heutige Begriff der Menschenrechte ist mit beiden Erklärungen eng verknüpft, doch wurde der<br />
Begriff der Menschenwürde dabei noch nicht verwendet. Der verfassungsrechtliche Begriff der Menschenwürde<br />
ist, wie Paul Tiedemann darlegt, erst vor knapp hundert Jahren aufgetaucht: in der Weimarer<br />
Reichsverfassung von 1919, dann in den Verfassungen Portugals und Irlands. In allen drei Fällen<br />
ging es jedoch um die Aufgabe des Staates, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Inzwischen<br />
wurde der Begriff in viele Verfassungen aufgenommen, in einigen europäischen Verfassungen<br />
fehlt er mit der Begründung, der Begriff sei zu wenig definiert.