Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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159 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
Physikalismus behaupten zwar ebenfalls eine letztlich physikalische Basis des Bewusstseins, suchen<br />
jedoch Konzepte, um dessen Besonderheiten gelten zu lassen, ohne psycho-physische Kausalbeziehungen<br />
annehmen zu müssen. Das kategorial Neue des Bewusstseins gegenüber der Hirnphysiologie<br />
wird auch als Hervortreten neuer Eigenschaften (Emergenz) oder als eine Überformung der tragenden<br />
neuronalen Prozesse (Supervenienz) bezeichnet, doch bieten auch diese Denkmöglichkeiten keine<br />
überzeugende Lösung, wie die Koppelung geschieht. 15 Aus der Sicht einiger Neurowissenschaftler ist<br />
das Bewusstsein eine natürliche Eigenschaft bestimmter neuronaler Aktivitätsmuster und kann ohne<br />
diese nicht existieren. Bewusstseinsprozesse und neuronale Prozesse verlaufen streng parallel. Deswegen<br />
ist es grundsätzlich möglich, mit neurophysiologischen Methoden nachzuweisen, wann und wo<br />
Bewusstseinsänderungen eintreten. In diesem Sinne sind Bewusstseinsprozesse reale, aber nicht direkt<br />
beobachtbare oder messbare Eigenschaften bestimmter neuronaler Vorgänge. Falls einmal der neurophysiologische<br />
Mechanismus entdeckt wird, wie die Bewusstseinsqualität im Gehirn hergestellt wird,<br />
könnte es weitere Fortschritte geben. 16<br />
Reduktionismus<br />
Die theoretischen Begriffe und Erklärungsweisen (nicht die Phänomene) eines naturwissenschaftlichen<br />
Bereichs auf zugrunde liegende, elementare Konzepte zurückzuführen, heißt, eine theoretische<br />
Reduktion vorzunehmen, z.B. Gesetzmäßigkeiten der Chemie auf solche der Physik zurückzuführen.<br />
Diese Strategie hat sich auf dem Wege zu einer wissenschaftlichen Einheitstheorie sehr bewährt. Gesetzmäßigkeiten<br />
der Biologie durch solche der Physik zu erklären, wäre eine starke Reduktion innerhalb<br />
der Naturwissenschaften, die evolutionstheoretische Erklärung des menschlichen Sozialverhaltens<br />
wäre eine noch stärkere Reduktion. In den Naturwissenschaften hat sich diese „Herabführung auf<br />
Einfacheres“ außerordentlich bewährt, weil dadurch bessere wissenschaftliche Vorhersagen erreicht<br />
werden können. Eine extreme Reduktion wäre es – über den Bereich der Naturwissenschaften hinausgehend<br />
– die kategorial grundverschiedenen Bewusstseinsprozesse auf hirnphysiologische Funktionen<br />
reduzieren zu wollen. Der Nachweis, welche wissenschaftlichen Prognosen damit besser zu leisten<br />
wären, müsste erst erbracht werden.<br />
Psycho-Physische Kausalität<br />
Jeder der skizzierten Lösungsversuche hat spezielle logische oder wissenschaftstheoretische Schwierigkeiten.<br />
Viele der Kontroversen spitzen sich auf die Frage der psycho-physischen Kausalität zu. Diese<br />
Antwort interessiert am meisten, denn sie ist für das Menschenbild und für viele wissenschaftliche<br />
Disziplinen wesentlich, u.a. für die Entstehung bestimmter Krankheiten und für die Frage nach dem<br />
freien Willen. Psycho-physische Kausalität wird häufig so verstanden, dass ein als nicht-physikalisch<br />
gedachtes Bewusstsein (Geist) auf die Hirnphysiologie einwirken könnte. Gegen diese Vorstellungen<br />
gab es heftigen Widerspruch, denn die Annahme nicht-kausaler, übernatürlicher Effekte im Gehirn<br />
würde das Axiom einer physikalisch lückenlosen, natürlichen Ursache-Wirkungs-Verbindung verletzen.<br />
Von Descartes bis zu Neurowissenschaftlern der Gegenwart wurde über den Ort der Wechselwirkung<br />
im Gehirn spekuliert, ohne auch nur eine überzeugende Hypothese zu gewinnen. Descartes vermutete<br />
den Ort der Wechselwirkung in der Epiphyse, der Neurophysiologe Eccles postulierte ein<br />
„Liaison-Gehirn“, das er ursprünglich in den Modulen der motorischen Hirnrinde SMA lokalisierte.<br />
Dagegen nannte Crick den vorderen Gyrus cinguli, Penrose die Mikrotubuli der Neuronen. Gegen<br />
diese Vorstellungen gab es heftigen Widerspruch. Deswegen wurde versucht, diese Effekte von den<br />
Synapsen bzw. Vesikeln auf die mikrophysikalische Ebene zu verlegen und als quantenphysikalische<br />
Vorgänge zu interpretieren. Da für den Synapsenübergang ein einzelner Quantenprozess energetisch<br />
bei weitem nicht ausreicht, wurden nur auszulösende Effekte, Verstärker- und Kipp-Phänomene angenommen,<br />
sog. Quantenverstärkereffekte. Libet postulierte ein kortikales „bewusstes mentales Feld“<br />
zur Informationsübertragung ohne neuronale Verbindungen – physikalisch wirksam, aber nicht messbar.<br />
Spekuliert wird auch über mögliche nicht-lokale Wirkungen einer noch kaum vorstellbaren Informations-Physik<br />
neben der geltenden Energie-Physik. Einige Autoren sind überzeugt, dass ein künftiges,<br />
revidiertes Verständnis von Kausalität die Vorstellung einer psycho-physischen Verknüpfung<br />
zulassen würde – jenseits der heute bekannten physikalischen Gesetze. 17