Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
137 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
sönliche transzendente Macht ist, die seit der Schöpfung nicht mehr in das Geschehen der Welt eingreift,<br />
antwortet oder sich offenbart; der Pantheismus, dem zufolge das absolute Sein Gottes mit der<br />
Welt identisch ist, wobei die Welt nicht durch einen gewollten Schöpfungsvorgang entstanden ist,<br />
sondern Erscheinung Gottes ist, der sich in allen Dingen verkörpert.<br />
Religiosität als positive Einstellung zur Religion könnte praktisch leichter zu fassen sein als eine theoretische<br />
Definition für das breite Spektrum von Religionen. Der religiöse Mensch orientiert sich an der<br />
Religion seines Kulturkreises, ist in seinen Grundüberzeugungen davon geprägt, bewertet diesen Lebensbereich<br />
als persönlich wichtig und teilt wesentliche Züge des typischen Menschenbildes dieser<br />
Religion. Dazu gehört es, an den religiösen Ritualen und am Leben in der Gemeinde aktiv teilzunehmen.<br />
Sozialwissenschaftler haben den Begriff der „Kirchlichkeit“ entwickelt und für die deutschen<br />
Verhältnisse eine Anzahl von Indikatoren zusammengestellt: Kirchgangshäufigkeit, Empfang von<br />
Sakramenten, Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen und am Gemeindeleben, Interesse an kirchlichen<br />
Sendungen in den Medien, Taufe, Kommunion bzw. Konfirmation, kirchliche Heirat, Begräbnis.<br />
Doch religionspsychologisch betrachtet kann es eine Religiosität auch außerhalb einer bestimmten<br />
Religionsgemeinschaft und jenseits der Kirchlichkeit geben.<br />
Spiritualität bedeutet Geistigkeit, eine Überzeugung und Lebenspraxis im Gegensatz zum Naturalismus.<br />
Während sich die naturalistische Auffassung mit der objektiv fassbaren biologischen und physikalischen<br />
Natur begnügt, bezieht sich das spirituelle Menschenbild auf etwas Überweltlich-Jenseitiges,<br />
auf Gott oder eine andere metaphysische Kraft bzw. eine Transzendenz. Die früher bevorzugten Begriffe<br />
des „Seelischen“ oder der Frömmigkeit werden heute seltener verwendet. Spiritualität beinhaltet<br />
typische Überzeugungen: Verinnerlichung, Zuwendung zu einem tieferen Sinn oder etwas Heiligem,<br />
höhere als „nur materielle“ Werte, eine bestimmte Lebensweise, u.U. auch ein Gefühl der Erweckung,<br />
Bekehrung oder Erleuchtung. Inbegriff spiritueller Orientierung ist die Mystik, die eine Erfahrung der<br />
höchsten Wirklichkeit sucht durch meditative Versenkung, Läuterung und Erleuchtung. Die Transzendenzerfahrung<br />
bzw. die Erfahrung der Einheit mit dem Göttlichen ist geheimnisvoll und eigentlich<br />
unaussprechlich. Eine mystische religiöse Praxis als Aufgabe und Hingabe des Selbst gibt es in allen<br />
großen Religionen, außerdem auch als religionsunabhängige Kontemplation.<br />
Spiritualität kann zu einem sehr unklaren Allgemeinbegriff werden, wenn nicht genauer unterschieden<br />
wird: eine christliche Spiritualität, die sich auf wesentliche Glaubensinhalte bezieht (Jesus,<br />
Kreuz, Auferstehung, Maria, persönliches Gebet u.a.); eine über-religiöse Spiritualität, die gemeinsame<br />
Elemente sucht, sowie eine triviale Spiritualität, die sich mit Aberglauben und paranormalen Phänomenen<br />
beschäftigt oder einem Spiritismus (Geisterglauben) anhängt.<br />
Spiritualität tendiert zum Dualismus von Geist (Seele) und Körper, teils wird gerade die Einheit<br />
betont. Strittig ist, ob zur Spiritualität immer ein Transzendenzbezug gehört, wie meist angenommen<br />
wird. Von der Spiritualität mit Transzendenzbezug, sei es mit oder ohne Gottesglauben, kann eine<br />
diesseitige, immanente, „freie“ Spiritualität unterschieden werden. Wenn individuelles Bewusstsein<br />
und Geist als Eigenschaften des menschlichen Gehirns und dennoch als fundamental eigenständiges<br />
Bezugssystem begriffen werden, besteht eine innerweltliche Geistigkeit neben der Natur. Deswegen<br />
kann Spiritualität auch als herausragendes Interesse an Sinnfragen, an geistiger Entfaltung und Selbstverwirklichung<br />
verstanden werden. Sie ist entweder auf eine personale oder auf eine transpersonale<br />
geistige Wirklichkeit gerichtet.<br />
Spiritualität kann – wie auch die Mystik – in Opposition zum Dogma einer Kirche geraten, in<br />
Opposition zu einem einseitigen Materialismus sowie in Opposition zum Rationalismus („Wesentliche<br />
Bereiche des Lebens bleiben der Vernunft unzugänglich“). Religionspsychologische Untersuchungen<br />
bestätigten, dass ein spirituell orientiertes Leben ein Muster von typischen Merkmalen aufweist, doch<br />
ist das Modewort Spiritualität heute kaum noch von einer Sinngebung des Lebens, von Esoterik und<br />
den vielfältigen Formen psychologischer Lebenshilfe, einschließlich der alternativen Heilkunde, abzugrenzen.<br />
Insofern ist der Begriff Spiritualität umfassender als Religiosität. Mit der Absicht, ein verbreitetes<br />
Tabu zu überwinden, hat Harald Walach Beziehungen zwischen Spiritualität und wissenschaftlicher<br />
Psychotherapie und Medizin erläutert. 6