30.12.2012 Aufrufe

Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

157 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Die Prozesstheologie ist vom Denken des Philosophen Alfred North Whitehead (1861-1947) beeinflusst<br />

und sucht ein neues Gottesverständnis: Gott beinhaltet das Universum, ohne mit dem Universum<br />

identisch zu sein; deswegen hat Gott Anteil an den Veränderungsprozessen. Gott greift jedoch<br />

nicht in das Geschehen ein, sondern überlässt die Wirklichkeit der Selbstorganisation und Selbstbestimmung.<br />

Statt der individuellen Unsterblichkeit wird nur ein Fortbestehen im allumfassenden Gott<br />

angenommen.<br />

Beide Denkrichtungen knüpfen an ältere Konzepte der Mystik bzw. des Agnostizismus an, wenn<br />

sie die Beziehung zwischen Mensch und Gott anders bestimmen als in der offiziellen Theologie. Jetzt<br />

soll die gesamte Wirklichkeit mit dem modernen Wissen über die Natur einbezogen werden, und zugleich<br />

wird dem Menschen eine deutlich größere Autonomie zugeschrieben. Beide Konzeptionen verlangen<br />

ein höheres Maß philosophisch-theologischer Abstraktion. Verloren geht dabei der Glauben,<br />

dass sich Gott dem Menschen zeigt und persönlich zuwendet.<br />

Leib und Seele, Gehirn und Bewusstsein<br />

Leib und Seele sind vieldeutige, durch eine lange philosophische und theologische Tradition belastete<br />

Begriffe. Als Leib wird der lebendige Körper bezeichnet, gelegentlich ist darüber hinaus auch der<br />

beseelte Körper des Menschen gemeint. Das Bedeutungsspektrum von Seele reicht vom „Lebenshauch“<br />

und der bewussten Innerlichkeit des Menschen bis zur christlichen Vorstellung einer unsterblichen<br />

Seele und der Auferstehung mit einem ewigen Leben in der Nähe Gottes. Viele Menschen halten<br />

an dieser traditionellen metaphysischen Bedeutung der – auch abgetrennt für sich – existierenden und<br />

unsterblichen Seele fest (siehe Welt-Katechismus). Umgangssprachlich wird „Seele“ häufig für Psyche<br />

bzw. psychische Prozesse verwendet: Wahrnehmung und Empfindung, Denken, Emotionen und<br />

Motive. Fachpsychologen haben schon seit langem auf die Begriffe Seele und Seelenwissenschaft<br />

verzichtet, um die religiösen (metaphysischen) Aspekte, den Transzendenzbezug, für ihre empirische<br />

Wissenschaft zu vermeiden. Folglich wird hier nur vom Gehirn-Bewusstsein-Problem gesprochen. 13<br />

Die populäre Redewendungen von „psychischen Ursachen“ und vom Einfluss „der Psyche“ auf<br />

den Körper, den Blutdruck, das Immunsystem usw., sind besonders missverständlich. Mit „psychisch“<br />

könnte gemeint sein: (1) zentralnervös, (2) die subjektive Seite (Innenansicht) eines psychophysischen<br />

Hirnprozesses, (3) allgemein die psychologischen Aspekte (Erleben und Verhalten) des<br />

Menschen oder (4) ein eigengesetzlicher und unabhängig vom neurophysiologischen Geschehen existierender,<br />

geistig-seelischer Einfluss, der irgendwie auf physiologische Funktionen wirken kann.<br />

Die Phänomene des Bewusstseins sind mit den Kategorien und Methoden der Naturwissenschaften<br />

nicht adäquat zu erfassen. Die Innerlichkeit des Menschen und die geistige Welt (Kultur) verlangen<br />

zusätzliche und kategorial eigenständige Beschreibungsweisen, u.a. Erlebnisqualitäten, Ich-<br />

Bezug, Wertordnung, Verantwortung, Freiheit und Transzendenz. Als Kategorienfehler wird die unkritische<br />

Vermischung zwischen Kategoriensystemen bezeichnet, z.B. den Substanzbegriff in die Psychologie<br />

oder die Wert- und Moralbegriffe in die Naturwissenschaft (statt nur auf das Denken und<br />

Handeln der Naturwissenschaftler/innen) zu übertragen.<br />

Das Gehirn-Bewusstsein-Problem ist eine überdauernde philosophische Fragestellung und partiell<br />

auch eine empirische, neuropsychologische Forschungsrichtung. Von vielen als unlösbares Problem<br />

oder als Scheinproblem bezeichnet, ist es für andere die Grundfrage der Philosophie. Das Gehirn-<br />

Bewusstsein-Problem stellt sich für einige wissenschaftliche Disziplinen, insbesondere die Neuropsychologie,<br />

Psychiatrie, Psychophysiologie und Psychosomatische Medizin, direkter als für andere Fächer.<br />

Es könnte sein, dass philosophische Vorentscheidungen, z.B. für den Monismus oder für den<br />

Dualismus, die Theorienbildung und die Auswahl der diagnostischen und therapeutischen Methoden<br />

beeinflussen.<br />

Das bewusste Erleben unserer Sinneswahrnehmungen ist das vertrauteste und zugleich das wissenschaftlich<br />

rätselhafteste Geschehen überhaupt. Die Kernfrage ist: Sind Gehirn und Bewusstsein<br />

zwei verschiedene und eigengesetzliche Seinsbereiche oder lassen sie sich auf eine einzige, letztlich<br />

physikalische Basis zurückführen? Die Ergebnisse der Umfrage bei den Studierenden der Psychologie<br />

sind in der Tabelle zusammengefasst. 14

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!