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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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190 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

und Liberale zur Auswanderung u.a. nach Amerika gezwungen. Dies ist in vielen zeitgenössischen<br />

Berichten und Biographien dokumentiert.<br />

Aufklärung bedeutete weithin Religionskritik und die Entwicklung einer pluralistischen Gesellschaft<br />

mit Trennung von Kirche und Staat. In einer noch breiteren Bedeutung meint Aufklärung eine<br />

Humanisierung, als große und nie abgeschlossene Entwicklung der Geschichte, Wissenschaft, Kunst,<br />

Sprache, Sitten, Religion und Poesie (wobei im Einzelnen zu klären bliebe, in welchem Sinn Humanisierung<br />

gemeint ist). Demgegenüber hat „Aufklärung“ heute oft eine vergleichsweise banale Bedeutung:<br />

die Aufklärung von Gesundheitsgefährdungen durch Rauchen und Alkohol, die Aufklärung über<br />

Sexualität, über Umweltschäden und andere Risiken. Andere werden an die kriminalistische Aufklärung<br />

von Verbrechen, an die militärische Aufklärung, Aufklärung über die Meinungsmanipulation<br />

durch Massenmedien und Werbung usw. denken.<br />

Wenn sich dieses Kapitel auf die Aufklärung zum Thema Religion und Weltanschauung konzentriert,<br />

soll die politisch-gesellschaftliche Basis damit nicht geringer eingeschätzt werden. Doch die<br />

Auseinandersetzung mit den „Religionsdingen“ scheint einen unmittelbaren und radikaleren Einfluss<br />

ausgeübt zu haben. Das neue Bild vom Menschen entstand zu wesentlichen Anteilen in der philosophischen<br />

Auseinandersetzung mit dem traditionellen christlichen Glaubensbekenntnis. Der Glauben an<br />

Gott, unsterbliche Seele und Willensfreiheit des Menschen bilden zentrale Bereiche der europäischen<br />

Anthropologie, denn diese Überzeugungen sind zugleich fundamentale Wesensbestimmungen des<br />

Menschen. Ist der Mensch als vernunftbegabtes Wesen „sein eigener letzter Zweck“?<br />

Väter der Aufklärung<br />

Die neuere Geschichte der Aufklärung, dieses „hellen Lichts“ im Europa des 17./18. Jahrhunderts hat<br />

viele Vorläufer und Leitpersonen: Pico della Mirandola, Erasmus von Rotterdam (auf ihre Weise auch<br />

Jan Hus, Martin Luther, Johannes Calvin und andere Protestanten), Baruch de Spinoza, Gottfried Wilhelm<br />

Leibniz, zunehmend Rechtslehrer wie Hugo Grotius, Thomas Hobbes, John Locke und Charles-<br />

Louis Montesquieu mit ihren neuen Vorstellungen über Naturrecht, Staat und (utopische) Gesellschaft.<br />

Zur französischen Tradition gehören Pierre Bayle sowie Dennis Diderot, Jean-Baptiste d’Alembert<br />

und die anderen Mitarbeiter der großen Enzyklopädie, d.h. Voltaire, Jean-Jacques Rousseau, und die<br />

vielen anderen, die gegen Denkverbote, Aberglauben, Klerikalismus und für die Idee des Rechtsstaats<br />

eintraten. Hinzu kamen später die radikalen Materialisten und Atheisten wie Paul Henri d’ Holbach<br />

und Julien Offray de La Mettrie. 4<br />

In Deutschland sind u.a. zu nennen: Samuel Pufendorf, der gegen die feudale Obrigkeit die<br />

Grundrechte postulierte, die er aus der Natur des Menschen begründete, und Christian Thomasius mit<br />

seinen Streitschriften gegen die Hexerei und gegen die Folter (1701, 1728). Diese beeindruckten<br />

Friedrich I. von Preussen, so dass dieser die Hexenprozesse verbot, sein Sohn Friedrich II. untersagte<br />

dann die allgemeine Folter (mit vom König zu genehmigenden Ausnahmen).<br />

Bereits ganz am Anfang dieses Jahrhunderts der Aufklärung stehen die Gedanken über eine von<br />

der Religion unabhängige Vernunftmoral, über die Freiheit der Andersdenkenden und die scharfe Kritik<br />

an der staatlichen Ketzerverfolgung mit der entschiedenen Forderung, Staat und Religion strikt zu<br />

trennen. So lehrte Pierre Bayle (1647-1706), ein französischer Hugenotte, Toleranz auf dem Boden der<br />

Vernunft und bestand gegen den Zeitgeist darauf, dass es auch nicht-religiöse Quellen der Moral gibt.<br />

Nach seiner Auffassung sind auch Atheisten moralische Wesen – was ein anderer Aufklärer, John<br />

Locke (1632-1704), noch für ausgeschlossen hielt. Voltaire (eigentlich François Marie Arouet, 1694-<br />

1778) gilt als herausragender Aufklärer Frankreichs und Vorkämpfer der bürgerlichen Freiheiten und<br />

der Toleranz. Doch Voltaire ist ebenfalls ein Beispiel, dass die Aufklärung nicht in einem einheitlichen<br />

und konsequenten Schritt, sozusagen als plötzliche Einsicht geschah. Voltaires Kritik richtete<br />

sich primär gegen katholische Kirche, Klerikalismus und Aberglauben, nicht gegen die königlichen<br />

Herrscher; er trat für mehr Toleranz ein, schrieb andererseits antijüdische Texte und ein polemisches<br />

Theaterstück über den Propheten Mohammed. Die Zuschreibung des berühmten Zitats ist umstritten:<br />

„Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen<br />

darfst.“ In Deutschland war zweifellos Immanuel Kant (1724-1804) der bedeutendste Aufklärer.<br />

Eine nachhaltige Resonanz verdanken die Ideen der Aufklärung einigen weit verbreiteten Dramen<br />

und Romanen. Dazu gehörte in Deutschland Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing<br />

(1729-1781). In diesem Drama findet sich die berühmte Parabel der drei Ringe: Niemand kann sicher

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