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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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116 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

– die christliche Eschatologie mit ihrer Verbindung von Messiashoffnung und den Schrecken der<br />

Apokalypse, also vom Weltuntergang, Jüngstem Gericht und ewiger Verdammnis;<br />

– den Import des Platonismus, indem statt anderer hellenistischer Ideen ein metaphysischer Dualismus<br />

von Diesseits und Jenseits, Geist und Körper, als Grundlage der Auferstehungslehre übernommen<br />

und als Herabsetzung der natürlichen Wirklichkeit ausgebaut wird;<br />

– den Umgang mit der historischen Wahrheit, in den unzähligen Widersprüchen, in den neutestamentlichen<br />

Berichten, die als angebliche Bestätigungen der alten Prophezeiungen dienen, und im<br />

„strategischen Umgang“ mit der Wahrheit.<br />

Dementsprechend fällt Schnädelbachs zusammenfassende Bewertung aus: das Christentum habe zwar<br />

unsere Kultur auch positiv geprägt, hingegen sei die Gesamtbilanz verheerend. Die Kraft dieser Religion<br />

habe sich erschöpft und sei in den neuzeitlichen Aufklärungsprozess und in einen diesseitigen<br />

Humanismus eingemündet. – Die hier extrem vereinfachten Thesen verlangen Erläuterungen im Einzelnen<br />

und Kommentare, Einwände oder Widerlegungen, auch wenn die Antworten in mancher Hinsicht<br />

schwierig sein werden. Für seine radikale, an den Wurzeln des Christentums ansetzende Kritik<br />

wurde Schnädelbach u.a. von dem katholischen Philosophen Robert Spaemann zurechtgewiesen: in<br />

diesem Ton spräche man nicht über das, was einem großen und respektablen Teil der Mitbürger das<br />

Heiligste sei. Spaemann erörterte nicht, inwieweit radikale Kritik dieser Art durch den geistigen (und<br />

auch politischen) Machtanspruch der Kirchen und durch den religiösen Absolutheitsanspruch der katholischen<br />

Kirche provoziert wird. 14<br />

Ausblick<br />

Das typische Menschenbild wird in den westlichen Ländern auch heute von christlichen Überzeugungen<br />

mitbestimmt sein, oft in den Grundüberzeugungen, vielleicht nur in einigen Zügen oder sogar in<br />

bewusster Distanzierung oder heftiger Ablehnung. Das Christentum ist wirkungsmächtig, aber nicht<br />

mehr allgemeingültig.<br />

Die theologischen und die kritischen philosophischen Diskussionen sind so vielschichtig und auf<br />

jeder Ebene in jedem wichtigen Detail so kontrovers, dass es über das Wissensbedürfnis und über den<br />

Anspruch der Allermeisten hinausgehen wird, diesen oft heftigen und intoleranten Auseinandersetzungen<br />

zu folgen. Der Weltkatechismus der römisch-katholischen Kirche versucht, die überlieferte<br />

Lehre zu bewahren; sie hat viele der von den historisch-kritischen Theologen erarbeiteten Ergebnisse<br />

und neuen Auslegungen nicht aufgenommen. Ein Dialog mit anderen Weltreligionen oder eine Auseinandersetzung<br />

mit dem Prozess der europäischen Aufklärung, einschließlich der heutigen Religionssoziologie<br />

und Religionspsychologie, fehlen in diesem extrem umfangreichen Unterrichtstext. Wer<br />

eine eigene Auseinandersetzung sucht, wird von der Vielfalt der theologischen Einwände überwältigt<br />

sein, auf jedes Argument gibt es oft mehrere Gegenargumente. Die zentralen Begriffe sind mehrdeutig<br />

und sind durch die langen theologischen Auseinandersetzungen noch vieldeutiger geworden. Diese<br />

Irritationen sprechen dafür, dem Denken und der Auslegung eines herausragenden katholischen Theologen<br />

wie Hans Küng oder einem der evangelischen Theologen zu folgen und ergänzend Kontroversen,<br />

u.a. Schnädelbachs grundsätzliche Kritik mit den Entgegnungen mehrerer Autoren zu lesen. 15<br />

Was glauben die Menschen wirklich? Und was glauben Menschen, wenn sie nicht mehr an den Gott<br />

des Christentums und seinen Sohn Jesus Christus glauben? Immer häufiger werden repräsentative<br />

Umfragen durchgeführt, die zwar wegen ihrer methodischen Grenzen nur kleine Einblicke zu geben<br />

vermögen, aber doch mehr als eine Spekulation am Schreibtisch sind. Eine zweite Frage ist, ob sich<br />

das Nachdenken über Religion heute noch mit der eurozentrischen und christozentrischen Sicht begnügen<br />

kann. Über den Islam, den Buddhismus und über viele andere Glaubensformen gibt es eine Flut<br />

von Büchern und Sendungen, und die Anhänger dieser Religionen nehmen an Zahl zu. Mehr Wissen<br />

über andere Religionen und andere Kulturen wird mehr Verständnis mit sich bringen und zu Vergleichen<br />

der <strong>Menschenbilder</strong> in ihren religiösen und humanistischen Ideen anregen.

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