Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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53 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
Å Aus der Evolutionsbiologie und der Soziobiologie gibt es wichtige Anregungen zum Verständnis<br />
der Natur des Menschen. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms bringt völlig neue<br />
Kompetenzen der Humangenetik und sehr umstrittene Zukunftsperspektiven mit sich.<br />
Å Bei den Primaten, insbesondere den Schimpansen und Bonobo, den biologisch nächsten Verwandten<br />
des Menschen, haben Verhaltensbeobachtungen viel mehr Ähnlichkeiten ergeben als<br />
noch vor wenigen Jahrzehnten für möglich gehalten wurde. Viele der als typisch menschlich geltenden<br />
Eigenschaften wie Herstellung von Werkzeugen, sprachliche Kommunikation, Selbst-<br />
Konzept, generationenübergreifende Traditionen und sogar kriegerische Auseinandersetzungen<br />
müssen seitdem anders gesehen werden.<br />
Å Die moderne Gehirnforschung ermöglicht einen Blick in die neurophysiologischen Grundlagen<br />
psychischer Prozesse. Diese Hirnfunktionen können während kognitiver und emotionaler Vorgänge<br />
beobachtet und gemessen werden. Engagierte Stellungnahmen, z.T. in Form von Manifesten,<br />
haben die philosophischen Kontroversen über den Zusammenhang von Gehirn und Bewusstsein<br />
sowie über Willensfreiheit wiederbelebt.<br />
Å Die gesellschaftspolitische Diskussion befasst sich heute mit anderen Themen als in der Mitte des<br />
20. Jahrhunderts. Mit dem Ende des real existierenden Sozialismus verlor ein sehr verbreitetes<br />
Menschenbild überraschend schnell an Einfluss. Wichtige Komponenten eines jeden Menschenbildes<br />
sind die sozialen Einstellungen und Wertordnungen mit den grundlegenden Fragen nach<br />
der konservativen Einstellung zu Werten und Strukturen der Gesellschaft und der progressiven<br />
Einstellung zu sozialen und internationalen Fragen.<br />
Å Die Internationalisierung der westlichen Zivilisation durch Wirtschaft, Politik, Reisemöglichkeiten<br />
und weltweite Kommunikation im Internet ließ eine Welt-Öffentlichkeit entstehen. Die Globalisierung<br />
hat neben ihren oft kritisierten ökonomischen und politischen Problemen auch eine<br />
Internationalisierung anderer Bereiche gebracht. So bildet sich zunehmend ein Wissen über die<br />
Vielfalt eigenständiger Kulturen und Religionen heraus; zur Weltliteratur kommen durch die<br />
neuen Medien eine Weltkunst und Weltmusik hinzu. Auch die multikulturelle und weltbürgerliche<br />
Zukunft und nicht allein die politischen und die wirtschaftlichen Veränderungen beeinflussen<br />
das künftige Menschenbild.<br />
Å Die Einsicht in den Pluralismus von Lebensformen und Kulturen auf der Welt hat neue Anstrengungen<br />
hervorgerufen, für die entstehende Weltbürgerlichkeit rechtliche und politische Ordnungen<br />
einschließlich Internationaler Gerichtshöfe zu schaffen. Es entstanden vor allem die Charta<br />
der Vereinten Nationen und die Erklärung der universalen Menschenrechte. Außerdem ist über<br />
die Anfänge eines interreligiösen Dialogs, über die Deklarationen zum Weltethos und zu den<br />
Menschenpflichten zu berichten.<br />
Å In den zitierten Texten und in den Biographien der Psychotherapeuten wurde deutlich, dass viele<br />
ihrer Annahmen über den Menschen einen Bezug zu religiösen Überzeugungen hatten. Die geistigen<br />
Traditionen im christlichen Abendland bilden hier den Hintergrund der Psychologischen<br />
Anthropologie. Selbst die Skeptiker, Atheisten und Agnostiker können sich dieser Tradition nicht<br />
entziehen, ebenso wenig die Philosophen insgesamt. Dies sind die Gründe, in einem der folgenden<br />
Kapitel wenigstens auf einige Aspekte des christlichen Menschenbildes, des Buddhismus und<br />
des chinesischen Universalismus sowie des Islam einzugehen.<br />
Å Die Bindungen an die Kirchen und an die traditionellen religiösen Formen haben stark abgenommen,<br />
wobei ein Teil dieser Menschen andere Formen von Religiosität, Spiritualität und<br />
Sinngebung sucht oder gefunden hat. Das breitere Interesse und das größere Wissen über andere<br />
Kulturen und Religionen haben vielfach die früheren Glaubensgewissheiten relativiert – sei es in<br />
skeptischer Abwehr oder in einer multikulturellen Einstellung und Toleranz. Die Selbstverständ-