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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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174 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

20 Ethik auf fester Grundlage und universal für alle Menschen?<br />

<strong>Menschenbilder</strong> und religiös motivierte Wertkonflikte<br />

Als Moral (Sittlichkeit) werden hier alle vorhandenen Werte und Verhaltensregeln, die sich kulturell<br />

herausgebildet haben, zusammengefasst. Mit Ethik ist eine systematische, philosophisch begründete<br />

Lehre gemeint, wie in bestimmten Situationen gehandelt werden soll. Ethische Normen beanspruchen,<br />

allgemeingültige und verbindliche Prinzipien des richtigen Handelns zu sein. Die Rechtfertigung und<br />

Kritik der ethischen Normen ist Aufgabe der philosophischen und theologischen Ethik; die Beschreibung<br />

des moralischen Verhaltens eine Aufgabe der empirischen Sozialwissenschaften und Psychologie.<br />

Die theologische und die säkulare Begründung der Ethik widersprechen einander im Prinzip und<br />

können deshalb auf einzelnen Gebieten immer wieder zu Wertkonflikten führen. Falls, wie in<br />

Deutschland, keine eindeutige und strikt praktizierte Trennung zwischen Kirche und Staat besteht,<br />

muss das juristische Neutralitätsgebot des Staates bzw. der Grundsatz der Gleichheit aller Bürger notfalls<br />

durch das Verfassungsgericht durchgesetzt werden.<br />

Kulturelle und psychologische Aspekte des moralischen Verhaltens<br />

Moralisches Verhalten ist auch ein empirischer Sachverhalt, der psychologisch und kulturwissenschaftlich<br />

untersucht werden kann. In der geschriebenen Rechtsgeschichte, seit dem berühmten Kodex<br />

des babylonischen Königs Hammurapi vor 3.700 Jahren, gab es viele Gebote, die sehr deutlich von<br />

den jeweiligen Lebensverhältnissen geprägt waren, außerdem Gebote und Verbote der Götter, Priesterkönige<br />

und späteren Gesetzgeber, die schließlich in die modernen Rechtsordnungen einmündeten.<br />

Kulturanthropologen haben erörtert, ob eine überkulturelle Übereinstimmung in vier Regeln zu erkennen<br />

ist: nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen sowie nicht Ehebruch begehen (eventuell noch ergänzt<br />

durch Respekt vor Religion bzw. Heiligem). Statt solche Universalien zu suchen, beruht die zuvor<br />

beschriebene Goldene Regel auf einem als vernünftig angesehenen Konsens, dessen Prinzip wohl in<br />

allen Kulturen vorzufinden ist.<br />

Dagegen wurde eine biologische Sichtweise am Beispiel des altruistischen Verhaltens der genetisch<br />

untereinander Verwandten entwickelt. Bei Menschenaffen gibt es Verhaltensweisen, die z.B. im<br />

Umgang von Mutter und Kind altruistisch erscheinen. Bemerkenswert ist auch das differenzierte und<br />

beim Menschen nicht in dieser Weise verbreitete Tröstungsverhalten und Groomen zur Beruhigung<br />

der Gruppe nach aggressiven Auseinandersetzungen. Der soziobiologische Ansatz trifft aber nur einzelne<br />

Aspekte, und Parallelen zur biologischen Evolution und zum Überlebenswert bestimmter Verhaltensweisen<br />

klären wenig auf, denn diese Prozesse sind durch Kulturanthropologie und Entwicklungspsychologie<br />

weitaus differenzierter zu beschreiben und zu interpretieren. So gibt es wichtige<br />

sozialpsychologische Einsichten über die Hilfsbereitschaft unter Fremden, über das Gerechtigkeitsempfinden<br />

sowie über das Verstehen von ethischen Problemen in Abhängigkeit von Alter, Intelligenz<br />

und Erziehung. Ein wichtiges Thema ist die Austauschgerechtigkeit, wie ein faires Verhältnis zwischen<br />

materiellen bzw. auch immateriellen Leistungen und Gegenleistungen zu erreichen ist.<br />

Ethische Normen unterliegen zweifellos der kulturellen Entwicklung. So wird das Prinzip „Auge<br />

um Auge, Zahn um Zahn“, das sog. talonische Recht, als eine archaische Rechtsauffassung angesehen.<br />

Biblisch kann bereits das talonische Recht als Fortschritt und als ein Gebot zur Mäßigung verstanden<br />

werden, weil auf überproportionale Rache verzichtet wird. Wenn sich solche Normen allgemein in<br />

einem historischen Prozess und individuell in einem Lernprozess ausbilden, muss gefragt werden, ob<br />

eine so verstandene positive Rechtsordnung nicht einer grundsätzlichen und unveränderlichen Absicherung<br />

bedarf: durch den Bezug auf Gott, auf die Vernunft oder die Natur des Menschen. Aus dieser<br />

Überzeugung wurde das Grundgesetz in der „unantastbaren Würde des Menschen“ verankert.<br />

Der religiöse Glaube erzwingt eine starke Wertebindung, so wird gesagt. Das könnte psychologisch<br />

zutreffen, doch reicht eine nur subjektive Einschätzung als Beweis nicht aus. Wenn die Behauptung<br />

einen empirischen Sachverhalt wiedergeben möchte, sind Untersuchungen des tatsächlichen Verhaltens<br />

zufällig ausgewählter Personengruppen notwendig. Dabei wäre zu berücksichtigen, dass nicht-

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