Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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201 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
entfernt, d.h. Entzug des Lehrauftrags oder Ablehnung von Schriften, die eine gefährliche Sondermeinung<br />
enthalten. Im Jahr 1998 folgte das Dekret „Zur Verteidigung des Glaubens“, das Hans Küng<br />
zufolge ein aufgewärmter Antimodernismus-Eid ist. Gegen diesen neuen Gehorsamszwang gab es<br />
öffentliche Proteste, ebenso gegen die kompromisslose Distanzierung von der Evangelischen Kirche.<br />
Gegen den interreligiösen Dialog wurde der Grundsatz erneuert, mit Jesus den einzigen wahren Weg<br />
zu Gott zu haben.<br />
In dem Prozess allmählicher Anpassung an naturwissenschaftliche Entdeckungen wurden einige<br />
zunächst unpassende Ideen assimiliert bzw. neu interpretiert. So konnte die Evolutionstheorie schließlich<br />
akzeptiert werden, indem die Beseelung des Menschen von der Schöpfung auf den Zeitpunkt der<br />
individuellen Empfängnis verlegt wurde. Es fehlt noch eine Interpretation, wann dieses Phänomen in<br />
der Stammesgeschichte von den frühsten Hominiden bis zum Neandertaler erstmals eintrat. Eine ähnliche<br />
Umdeutung fand hinsichtlich der universalen Menschenrechte statt. Die anfängliche entschiedene<br />
Ablehnung wurde überwunden, indem diese Menschenrechte heute als eigentliche Inhalte der<br />
christlichen Ethik behauptet werden.<br />
„Trotz der Irrungen der Theologie und des Missbrauchs durch viele Pseudochristen: Der Mensch ist<br />
frei geworden. Die abendländische Philosophie, der wissenschaftliche Fortschritt des Westens, die<br />
Unabhängigkeitserklärung in den USA, die Französische Revolution mit ihren Grundwerten, unsere<br />
Verfassung, die freie Stellung der Frau – all das ist ohne die christliche Botschaft nicht denkbar. Sie<br />
hat die Unantastbarkeit der menschlichen Würde in die Welt gebracht, auch wenn diese Würde immer<br />
wieder mit Füssen getreten wird.“ (Heiner Geissler). 9<br />
„Pluralismus, Toleranz, Rechtstaat und die Menschenrechte europäischer Prägung sind eben nicht<br />
aus der jüdisch-christlichen Tradition allein erwachsen – ohne das römische Recht, den Humanismus<br />
und vor allem die laizistische Aufklärung wären sie nicht in der Welt.“ (Elisabeth von Thadden) 10<br />
Die Juristin Sabine Leuthäuser-Schnarrenberger kritisierte den Stil, in dem die katholische Kirche die<br />
zunächst energisch abgelehnten universalen Menschenrechte vereinnahmte (Kapitel 19). Die Deklaration<br />
der Vereinten Nationen hatte keine theologische Begründung der Menschenrechte enthalten; aus<br />
katholischer Sicht sind sie erst dann akzeptabel, wenn sie als im Willen Gottes verankert aufgefasst<br />
werden. Die Vereinnahmung ist also in Fällen wie der Evolutionstheorie, der Demokratiebewegung,<br />
der Aufklärung wie auch der Menschenrechte nur partiell gemeint, oder die Umdeutung betrifft so<br />
wichtige Eigenschaften, dass die offene Verständigung leiden muss. So kann es durchaus geschehen,<br />
dass schließlich nur noch von den christlichen Wurzeln des Humanismus, der Demokratie und der<br />
Moral gesprochen wird, ohne die konträren Ursprünge und den bitteren Prozess der Aufklärung überhaupt<br />
noch zu erwähnen. Diese Einvernahme ist bemerkenswert kühn, weil sie nur mit einem sehr<br />
verkürzten geschichtlichen Rückblick zustande kommen kann. Schnädelbach sprach vom strategischen<br />
Umgang mit der Wahrheit um einer höheren Wahrheit willen. 11<br />
Für viele der gottgläubigen Naturwissenschaftler stehen Glauben und Wissen nicht in Widerspruch,<br />
weil es zwei unterschiedliche Denkwelten sind, die nichts miteinander zu tun haben. Deswegen<br />
können sie durchaus von einem sich persönlich um seine Geschöpfe kümmernden, liebenden Gott<br />
und von einem Leben nach dem Tod überzeugt sein. Die Kollision des Glaubens mit dem Wissen über<br />
die Naturgesetze tritt erst dann auf, wenn Gott direkt in die reale Welt eingreift, wenn er ein Gebet<br />
erhört, persönlich hilft oder einen Schutzengel schickt. Diese Kollision wird nicht beseitigt, wenn behauptet<br />
wird, dass Gott nur mittelbar eingreift, also nur durch die an ihn glaubenden Menschen handelt.<br />
Diese Interpretation löst den fundamentalen Widerspruch nicht auf: Hier rangiert der Glauben<br />
höher als die Gesetze der Physik.<br />
Durch die Beschreibung und Erforschung der Natur religiös geworden zu sein, ist ein attraktives<br />
Thema in den Biographien einzelner Wissenschaftler. Dagegen wird ein Agnostiker oder Atheist fragen,<br />
ob die Reihenfolge nicht genau umgekehrt ist. Je nach dem eigenen Standpunkt wird eine der<br />
beiden Interpretation mehr überzeugen: Jene Naturwissenschaftler wurden als Kinder gottgläubig erzogen<br />
und übertrugen diese religiöse Überzeugung auf ihre Weltsicht und tendenziell auf ihre wissenschaftliche<br />
Theorienbildung. In diesem Zusammenhang wird oft auf tief gläubige Physiker, z.B. auf<br />
den Nobelpreisträger Max Planck, verwiesen. Die vielen anderen Nobelpreisträger bzw. Naturwissenschaftler,<br />
die sich als Atheisten bezeichnen, werden dann leicht übergangen, weil sie nicht ins Bild