Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
83 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
Aus ihren Interessen und Lehrbüchern hatten die Psychologen ihre nächsten biologischen Verwandten<br />
fast völlig ausgeklammert. Könnten bei dieser engen, dem Evolutionsdenken so sehr widersprechenden<br />
Einstellung weltanschauliche Gründe mitspielen, d.h. der tiefreichende Glaube an die<br />
einmalige und absolute Sonderstellung des Menschen? Bei kritischer Lektüre vieler älterer und neuerer<br />
Lehrbücher der Psychologie und Anthropologie entsteht der Eindruck, dass es den Autoren, statt<br />
die Eigenart der anderen Primaten zu beschreiben, sehr viel mehr an der Abgrenzung nach unten, d.h.<br />
von „den Tieren ohne Bewusstsein und Verstand“, gelegen war. Die Zusammenstellung der Besonderheiten<br />
des Menschen (die sog. Anthropina) hat eine lange Geschichte, die zugleich ein Spiegel der<br />
Vorurteile ist. Für viele muss es tatsächlich eine fundamentale Kränkung des Geist-Seele-Wesens<br />
Mensch gewesen sein, sich seit Charles Darwin (The descent of man, 1871) nur in der langen Reihe<br />
der Evolution zu sehen. Wahrscheinlich werden jene Philosophen und Psychologen, die sich überhaupt<br />
für unsere nächsten biologischen Verwandten interessieren und am Schreibtisch immer neue und kleinere<br />
spekulative Kataloge dieser Unterscheidungsmerkmale aufstellen, auch diese revidieren müssen,<br />
wenn die Verhaltensforschung an Primaten im Freiland und in den Primatenzentren fortschreitet. „Des<br />
Menschen besondere Stellung im Universum beruht auf widerrufenen Behauptungen und ständig versetzten<br />
Torpfosten“ stellte Frans de Waal fest. 10 Dabei wäre es nicht minder verfehlt, alle Unterschiede<br />
nur als graduelle Unterschiede auf einem einzigen Kontinuum postulieren zu wollen. Die Trennung<br />
beider Entwicklungslinien in der Evolution liegt nach genetischen Analysen etwa vier (oder vielleicht<br />
nur zwei) Millionen Jahre zurück. Deswegen müssten zumindest mehrere Kontinua unterschieden<br />
werden: im Hinblick auf das Genom, die Morphologie und Physiologie, die perzeptiven und motorischen<br />
Leistungen, die emotionalen Zustände und deren Ausdruck, die kognitiven Leistungen, Kommunikation,<br />
Werkzeuge, Selbstkonzept und andere mentale Repräsentationen.<br />
Aus der Einsicht in die biologische Kontinuität folgt für viele Menschen das Postulat der ontologischen<br />
Kontinuität, d.h. es wird kein fundamentaler Sprung der Menschwerdung durch Hinzutreten<br />
einer Geistseele angenommen. Die Entdeckung, dass Schimpansen u.a. Primaten zumindest über die<br />
Vorstufe eines Selbstkonzepts verfügen und Werkzeuge nicht nur gebrauchen, sondern auch herstellen<br />
können, haben in den Medien großen Eindruck gemacht. Im offensichtlichen Ausdruck von Emotionen<br />
in Mimik und Gestik, im Mutter-Kind-Verhalten und im sozialen Gruppenverhalten bis zu kriegsähnlichen<br />
Aggressionsakten und Eroberungszügen existieren – in vielen Filmen dokumentiert – erstaunliche<br />
Ähnlichkeiten zum Menschen.<br />
Die Frage nach der Seele der Tiere schien im Westen nach Augustinus’ Lehre, Tiere hätten keine<br />
unsterbliche Seele, und Descartes’ Definition der Tiere als geistlose Sache (wie Maschinen) entschieden<br />
zu sein. Im Neuen Testament hat diese Frage, im Unterschied z.B. zur indischen und buddhistischen<br />
Religion, nur am Rande eine Rolle gespielt. Nach christlicher Lehre hat der Mensch durch Gott<br />
eine völlig abgehobene Sonderstellung und Herrschaft erhalten. Wenn Tierliebhaber und Tierschützer<br />
dennoch Tieren eine Seele zusprechen möchten, meinen sie wohl nicht jene metaphysische Qualität<br />
und Gottes-Ebenbildlichkeit, die ein Leben nach dem Tod ermöglicht, sondern dass Tiere durch ihr<br />
individuelles, wenn auch nicht voll-bewusstes (pathisches) Erleben von Gefühlen und Motiven eine<br />
Innenwelt haben, so unzugänglich uns diese auch ist. Wenn höher entwickelte Säugetiere wie die<br />
Menschenaffen leidensfähig sind, z.B. über den Verlust eines Kindes zu trauern vermögen – welche<br />
praktischen Schlüsse wären zu ziehen?<br />
Menschenrechte für Menschenaffen?<br />
Die natürliche Population der Schimpansen wird auf eine Größenordnung von 200.000 und die der<br />
Bonobos auf ca. 20.000 Individuen geschätzt (sowie etwa 100.000 Gorillas und 20.000 Orang-Utans).<br />
In Gefangenschaft werden Schimpansen nicht nur in Zoologischen Gärten (Größenordnung 1.000<br />
Individuen) gehalten, sondern in sehr großer Anzahl (Größenordnung 2.000) in den Käfigen der<br />
Pharmazeutischen Firmen als Versuchstiere zur Prüfung von Medikamenten (davon ca. 700 in sog.<br />
Isoletten-Minikäfigen mit 2,3 qm Grundfläche) sowie in Vergnügungs- und Privat-Einrichtungen zur<br />
Unterhaltung der Eigentümer. Rechtlich galten sie bis vor kurzer Zeit als Sache, über die jeder Eigentümer<br />
nach Gutdünken verfügen kann, falls Tierquälerei als öffentliches Ärgernis vermieden wird.<br />
Die Population der Schimpansen und der anderen Menschenaffen im tropischen Zentralafrika<br />
nimmt rapide ab. Verantwortlich sind u.a. die von den Menschen übertragenen Infektionskrankheiten,<br />
die sehr verbreitete Gewohnheit, Affen zu töten und als so genanntes Buschfleisch zu verkaufen und