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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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194 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

gung und Vernichtung auf. Das berüchtigte Buch Hexenhammer (Malleus Maleficarum) der deutschen<br />

Dominikanermönche Heinrich Institoris und Jakob Sprenger lieferte 1487 eine Anleitung für Hexenrichter<br />

und erklärte die Frauen zur größten Gefahr der Kirche. Erst 1631 publizierte der Jesuitenpater<br />

Friedrich von Spee unter großen Risiken seine mahnende Aufklärung, die Cautio Criminalis. Der kollektive<br />

Hexenwahn, dass Inkuben die Frauen und Sukkuben die Männer verführen, dauerte noch mehr<br />

als hundert Jahre an. Die letzte Hinrichtung auf deutschem Boden, später als in den meisten anderen<br />

Ländern, geschah erst 1775 in Bayern, also bereits in der vielgerühmten Zeit Kants und Goethes. 8<br />

Historische Forschung, u.a. von Franz Irsigler, nennt Schätzungen von 60.000 Opfern, etwa ein<br />

Viertel Männer, davon die meisten im Deutschen Reich, nicht im Mittelalter, sondern in der frühen<br />

Neuzeit vom 16. bis 18. Jahrhundert. In protestantischen Gebieten wurden mehr Frauen verfolgt als in<br />

katholischen Gebieten, was vielleicht auf Luthers tendenziöse Übersetzung, „Die Hexen sollst du nicht<br />

leben lassen“ (Exodus 22, 18) zurückzuführen ist. Wahrscheinlich waren es nicht so viele Hebammen<br />

und Kräuterfrauen wie früher behauptet, sondern oft durchschnittliche Frauen und Männer, die aus<br />

verbreitetem Aberglauben an böse Mächte und Magie in den Verdacht gerieten, Schadenzauber oder<br />

Umgang mit dem „bösen Feind“ getrieben zu haben. Die Beweislast trägt, ebenso wie in den ausgedehnten<br />

Inquisitionsverfahren des Spaniers Torquemada, der Beschuldigte, der Ketzer: Ein Kreislauf<br />

aus Verdacht, Denunziation, Folter, Hinrichtung und der Billigung dieser „Beweise“ durch Kirche und<br />

Obrigkeit mit konsequenter Fortsetzung in neuen Denunziationen.<br />

Exorzismus<br />

Ein Exorzismus ist darauf ausgerichtet, Dämonen auszutreiben, nachdem feststeht, dass es sich um die<br />

Gegenwart des Bösen und nicht um eine medizinisch zu therapierende Krankheit handle. Das in<br />

Deutschland wohl bekannteste Ereignis eines Exorzismus ist der Fall von Annelise Michel aus Klingenberg.<br />

Die Studentin fühlte sich vom Teufel besessen und war 1976 nach mehr als 50 Teufelsaustreibungen<br />

an chronischer Unterernährung gestorben. Die beiden Geistlichen und die Eltern wurden<br />

wegen fahrlässiger Tötung zu jeweils sechs Monaten Haft verurteilt, auf drei Jahre zur Bewährung<br />

ausgesetzt. In wie weit dieser Exorzismus mit Billigung des damaligen Bischofs geschah, wurde nicht<br />

befriedigend aufgeklärt. Die medizinische Diagnose der Gutachter lautete auf Epilepsie in Verbindung<br />

mit einer psychotischen Störung; die Patientin hätte durch ärztliche Behandlung gerettet werden können.<br />

9<br />

Pater Gabriele Amorth ist seit 1986 einer der offiziellen Exorzisten der Diözese in Rom und behandelt<br />

nach seiner Auskunft etwa fünf Besessene am Tag, mit Gebeten, mit Weihwasser und mit dem<br />

Befehl „Im Namen Gottes, Satan weiche.“ Amorths Buch Ein Exorzist erzählt erlebte bisher 16 Auflagen<br />

und wurde in 14 Sprachen übersetzt. Er sieht sich in Übereinstimmung mit der Lehre der Bibel,<br />

mit dem Lehramt der Kirche und mit der Tradition. Jesus gab seinen Jüngern Kraft und Vollmacht,<br />

Dämonen auszutreiben (Matth. 10, 8). Amorth sieht sich im Dienste des Papstes Johannes Paul II., der<br />

angeblich in extremen Fällen wiederholt einen Exorzismus vorgenommen habe. Mehr als 12.000 Besessene<br />

hätten sich bereits gemeldet und deswegen sei eine Zentrale für die Ausbildung von Exorzisten<br />

erforderlich.“ 10 Der Rektor der päpstliche Universität Regina Apostolorum, P. Paolo Scafaroni,<br />

erklärte, die 2005 mit 127 Teilnehmern begonnenen Kurse zu den Themen Exorzismus und Satanismus<br />

stünden Priestern und allen künftigen Priestern offen, ggf. mit Videozuschaltungen auf der ganzen<br />

Welt. Der Pater Pedro Barrajón leitete wiederholt einen Kurs „Exorzismus und Gebete um Befreiung“.<br />

In einem Interview erklärte er u. a.: Die Lehre der katholischen Kirche zum Bösen sei seit Jahrhunderten<br />

unverändert. Es gibt gegen Gott rebellierende Engel, die zu Teufeln wurden. Die Dämonen<br />

sind geistige Wesen mit Intelligenz und Willen wie die Engel, doch ihr Wille suche das Böse und ihre<br />

Intelligenz das Unwahre. Gott könne zulassen, dass Engel wie Dämonen physische Erscheinungsweisen<br />

annehmen und dem Menschen erscheinen. Wenn Menschen von Nervenärzten oder Psychiatern<br />

ergebnislos behandelt wurden, könne eine spirituelle Behandlung beginnen. Unter zehn Personen, die<br />

um einen Exorzismus nachfragten, sei durchschnittlich ein Fall wirklicher Besessenheit.<br />

„Kurz nach seiner Wahl begrüßte Benedikt XVI. eine große Gruppe von Exorzisten. War das ein<br />

Signal?“ – Professor Pedro Barrajón: „Nein, es war nur ein routinemäßiges Treffen der Exorzisten<br />

Italiens.“ 11 Im Internet bietet der österreichische Kaplan Christian Sieberer eine Beratung für Bedürftige<br />

einschließlich der Vermittlung eines Exorzisten an.

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