Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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17 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
„freie Einfälle“ und im Strom dieses Assoziierens und Deutens gelangt er schließlich zu den verborgenen<br />
Motiven und Konflikten, den verdrängten, oft peinlichen und deshalb verhüllten Wüschen. Wie<br />
solche Rekonstruktionen möglich sind, erläutert Freud an vielen Beispielen. Die unbewussten Wünsche<br />
und Konflikte sind in Traumbilder transformiert oder erscheinen als neurotische Symptome. Die<br />
Rückübersetzung ist eine schwierige Herausforderung. Gelingt sie, so hat diese Interpretation eine<br />
fundamentale Bedeutung als via regio, als Königsweg, zum Unbewussten und zur Deutung und Auflösung<br />
neurotischer Symptome. Freud beschreibt genau, wie bei einem Patienten vorzugehen ist und wie<br />
die Interpretation abgesichert werden kann.<br />
„Den Stoff für unsere Arbeit gewinnen wir aus verschiedenen Quellen, aus dem, was uns seine Mitteilungen<br />
und freien Assoziationen andeuten, was er uns in seinen Übertragungen zeigt, was wir aus der<br />
Deutung seiner Träume entnehmen, was er durch seine Fehlleistungen verrät. All das Material verhilft<br />
uns zu Konstruktionen über das, was mit ihm vorgegangen ist und was er vergessen hat, wie über das,<br />
was jetzt in ihm vorgeht, ohne daß er es versteht. ... In der Regel verzögern wir die Mitteilung einer<br />
Konstruktion, die Aufklärung, bis er sich selbst derselben so weit genähert hat, daß ihm nur ein<br />
Schritt, allerdings die entscheidende Synthese, zu tun übrig bleibt. Würden wir anders verfahren, ihn<br />
mit unseren Deutungen überfallen, ehe er für sie vorbereitet ist, so bliebe die Mitteilung entweder<br />
erfolglos oder sie würde einen heftigen Ausbruch von Widerstand hervorrufen, der die Fortsetzung der<br />
Arbeit erschweren oder selbst in Frage stellen könnte. Haben wir aber alles richtig vorbereitet, so<br />
erreichen wir oft, daß der Patient unsere Konstruktion unmittelbar bestätigt und den vergessenen inneren<br />
oder äußeren Vorgang selbst erinnert.“ (Abriß der Psychoanalyse, 1938) 1<br />
Dass es sich nicht um völlig beliebige Spekulationen handle, kann, so Freud, die praktische Erfahrung<br />
zeigen. Wenn die psychoanalytischen Deutungen zutreffen, müssen sie eine objektive Wirkung auf die<br />
emotionalen Reaktionen des Patienten haben. Es sind zunächst nur Konstruktionen, also Hypothesen,<br />
und wie zutreffend sie sind, erweist nur der Fortgang der Behandlung und letztlich die Heilung bzw.<br />
Überwindung der Neurose. Diese ständige Überprüfung der psychoanalytischen Interpretationen im<br />
Prozess der Behandlung ist Freuds originelle Leistung. Damit – so ist er überzeugt – entsteht aus der<br />
spekulativen Traumdeutung und aus der freien Assoziation eine wissenschaftliche Methodik. Diese<br />
neue Methodik hat Freud in seinem „Jahrhundertwerk“ Traumdeutung (1900) in den bis heute kaum<br />
revidierten Grundzügen beschrieben.<br />
Mit seiner Methode öffnet Freud einen neuen Zugang zur inneren Welt, zur Biographie und zur<br />
Krankengeschichte eines Menschen. Wie diese Psychoanalyse ansetzen muss und wie schwierig das<br />
sein würde, hat Freud in einer jahrelangen Selbstanalyse erkundet und wohl auch erlitten. Auch andere<br />
Denker wie Søren Kierkegaard haben solche Selbstanalysen geleistet; sie haben dann über ihre Gewissensprüfungen<br />
und peinlichen Lebensprobleme in Form von „Beichten“ berichtet. Der Unterschied ist<br />
jedoch, dass Freud über eine besondere Methode verfügt und systematisch vorgeht. Er will über die<br />
autobiographische Erfahrung hinaus eine wissenschaftliche Theorie entwickeln; er will Krankheiten<br />
erklären und möchte diese Einsichten psychotherapeutisch anwenden. Über die heroische Leistung<br />
seiner Selbstanalyse ist kaum etwas bekannt, da Freud später bis auf einige Traumprotokolle alle Notizen<br />
vernichtete. Im Verlauf dieser Selbstanalyse, so ist anzunehmen, stieß er auf jene Themen, aus<br />
denen sich die psychoanalytische Theorie entwickelte: die schwierigen emotionalen Beziehungen zu<br />
seinem Vater, die besondere Zuneigung zur Mutter, bestimmte frühkindliche Ereignisse, peinliche<br />
Erlebnisse, Schuldgefühle und andere Themen.<br />
Psychische Instanzen, Herrschaft von Lustprinzip und Realitätsprinzip<br />
Es, Ich und Über-Ich – diese Begriffe sind in die Alltagssprache eingegangen. Seine psychologischen<br />
Untersuchungen führten Freud zur Annahme von drei Bereichen oder Systemen des Psychischen. Diese<br />
unterscheiden sich in ihrer Funktion und, damit zusammenhängend, inwieweit sie bewusst sind und<br />
ob es sich um angeborene biologische Triebe oder um kulturell vermittelte Motive handelt.<br />
„Die Macht des Es drückt die eigentliche Lebensabsicht des Einzelwesens aus. Sie besteht darin, seine<br />
mitgebrachten Bedürfnisse zu befriedigen. Eine Absicht, sich am Leben zu erhalten und sich durch die<br />
Angst vor Gefahren zu schützen, kann dem Es nicht zugeschrieben werden. Dies ist die Aufgabe des