Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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69 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
Kooperation innerhalb der Verwandtschaft betont, doch bleibt das Prinzip der Optimierung und der<br />
verwandtschafts-egoistischen Durchsetzung gegenüber anderen bestehen.<br />
Genetik<br />
Die Aufschlüsselung des menschlichen Genoms war ein so bedeutender Erkenntnisschritt, dass sich<br />
Regierungschefs der sechs hauptsächlich beteiligten Länder (USA, Grossbritannien, Japan, Frankreich,<br />
Deutschland, China) im Jahr 2003 in einer gemeinsamen Erklärung zusammenfanden. Die 3,3<br />
Milliarden DNA-Basenpaare, in denen die Gene des Menschen kodiert sind, wurden als das molecular<br />
instruction book of human life bezeichnet. 3<br />
Das Erbgut (Genom) ist die Gesamtheit der vererbbaren Nukleinsäure. Als Gene werden jene Sequenzen<br />
(Informationsbereiche) bezeichnet, die in eine Aminosäuren-Sequenz RNA übertragen<br />
(transskribiert) werden und dann ihrerseits die Aminosäuren-Sequenz von Proteinen kodieren. Außerdem<br />
enthält das Genom noch viele andere Basen-Sequenzen, die eine z.T. noch nicht aufgeklärte<br />
Funktion haben oder als bedeutungslose alte Gene oder als Fremdgene angesehen werden. Wie viele<br />
relevante Gene der Mensch besitzt, ist noch nicht genau zu sagen. Die Schätzungen liegen zwischen<br />
20.000 und 25.000, zuvor lagen sie bei ca. 30.000. Heute sind auch ca. 5.000 genetische Defekte bekannt,<br />
die im menschlichen Genom auftreten können.<br />
Die einzelnen Basen sind auf dem langen DNA-Strang angeordnet und jede hat, da vier Formen<br />
(A, T, G, C) möglich sind, einen Informationsgehalt von 2 bit; das gesamte Genom mit ca. 3 Milliarden<br />
Basenpaaren auf 23 Chromosomen enthält Informationen im Umfang von ca. 750 MegaByte, d.h.<br />
den Umfang einer CD. Das Genom des Menschen ist insgesamt nicht wesentlich größer als bei anderen<br />
und weniger komplex gebauten Arten. Ein Gen kann mehr als nur ein Protein kodieren. Vom<br />
Bauplan des Menschen kann eigentlich erst gesprochen werden, wenn geklärt ist, wie die bautechnische<br />
Seite abläuft, wie also diese genetische Information in die Proteinsynthese und dann während der<br />
Embryonalentwicklung in den Bau der Organe umgesetzt wird. Hier wirken viele Gene und Kopierund<br />
Reparaturmechanismen auf komplizierte Weise zusammen, damit ein biologisches Merkmal entstehen<br />
kann. Entscheidend scheint zu sein, wann ein Gen eingeschaltet wird. Deswegen sehen Evolutionsgenetiker<br />
weniger in der einfachen Mutation von Genen, sondern im Umschalten von Aktivierungsmustern<br />
die eigentlich treibende Kraft der Entwicklung.<br />
Diese Gene werden, wenn die artspezifischen Entwicklungsbedingungen für die Eizelle, den<br />
Embryo und das neugeborene Kind vorhanden sind, zur Ausbildung des individuellen Gehirns führen.<br />
Ist in diesem Genom auch ein Bauplan für den menschlichen Geist enthalten? Kommt dann zur Neurophysiologie<br />
noch eine geistig-seelische Qualität hinzu? Wann und wie geschieht das? Oder sind hier<br />
nur die potentiell unsterblichen, egoistischen Gene am Werk?<br />
Biologische Individualität und Vielfalt<br />
Der 1,8 Meter lange DNA-Strang im Kern der menschlichen Zellen hat außer den artspezifischen Anteilen<br />
individuelle Besonderheiten, welche zunehmend zur Identifizierung von Menschen, z.B. in der<br />
Kriminalistik, herangezogen werden. Die biologische Individualität des Menschen manifestiert sich<br />
nicht allein in diesem DNA- (deutsch: DNS-) Muster, dem genetischen Fingerabdruck. Jeder Mensch<br />
weist charakteristische Merkmale des Körperbaus und der Struktur der inneren Organe auf. Außer<br />
dieser morphologischen Eigenart besteht eine relativ überdauernde biochemische und physiologische<br />
Individualität des Menschen, die zusammen mit angeborenen Funktionsschwächen und Krankheitsdispositionen<br />
die Konstitution des Menschen bestimmen. Das Immunsystem des gesunden Menschen<br />
entwickelt im Laufe des Lebens eine eindeutige biochemische Unterscheidung zwischen Selbst und<br />
Nicht-Selbst. Diese morphologische, physiologisch-adaptive, biochemische und immunologische Individualität<br />
steht der Vielfalt psychosozialer Unterschiede kaum nach. 4<br />
Das Genom legt den artspezifischen Rahmen der Hirnentwicklung fest, die Entwicklung zum<br />
einzigartigen Individuum hängt von den inneren und äußeren Bedingungen ab und vor allem von der<br />
speziellen Entwicklung der neuronalen Netzwerke mit ihrer individuellen Lerngeschichte.<br />
Die genetische Vielfalt ist eine wesentliche Voraussetzung der Anpassung und des Überlebens im<br />
Evolutionsablauf. Diese Variation kommt auf verschiedene Weise zustande: durch Mutation, durch<br />
Rekombination der mütterlichen und väterlichen Chromosomen bei geschlechtlicher Fortpflanzung<br />
mit der Entstehung neuer Genotypen sowie durch die natürliche Selektion aufgrund des unterschiedli-